: Mobile Mösen auf dem CSD
■ Mit einem überdimensionierten primären Sexualorgan aus Styropor wollen Lesben das Zentrum ihres Begehrens feiern und nebenbei telegenen Schwulen beim Christopher Street Day die Show stehlen
In einem Friedrichshainer Hinterhof bauen sechs Frauen an dem spektakulärsten lesbischen Auftritt in der Geschichte des CSD: Hier entsteht eine überdimensionale „Möse“ aus Styropor – vier Meter lang, drei Meter hoch und knallig orange-gelb-rot. „Es ist Zeit, daß wir die Möse als Zentrum lesbischen Begehrens feiern und dem Wort einen neuen Klang geben“, findet Christine Olderdissen von den „Mösen in Bewegung“.
Denn noch immer haben alle Bezeichnungen für das sexuelle Primärorgan einen schalen Beigeschmack. Möse ist häufig ein Schimpfwort, Fotze sowieso, und Vagina hört sich nach medizinischem Lehrbuch an. „Manche Frauen haben sich ganz andere Begriffe ausgedacht, erzählt Olderdissen: „Bärchen zum Beispiel, Räuberhöhle oder Schatzkästchen. Aber Möse ist nun mal am eindeutigsten.“ Wie ihre Offensive in Sachen Begrifflichkeit ankommt, hat die lesbische Clique letztes Wochenende beim schwullesbischen Straßenfest in Schöneberg mit einer „Mösenrevue“ getestet. „Die jungen Lesben finden es großartig, und die Schwulen sagen, daß das endlich mal eine gute Aktion von den Lesben sei“, faßt Olderdissen die Reaktionen zusammen. Auch Heteros seien begeistert auf sie zugekommen: „Hey, toll“, hieß es häufig, „es ist schon längst überfällig, daß so etwas mal gemacht wird.“ Bei der älteren Lesbengeneration stößt die Riesenmöse dagegen zum Teil auf Unverständnis. „Unnötige Sexualisierung von Lesben“ ist einer der Vorwürfe. Olderdissen sieht das etwas anders. „Wir zeigen keine Nacktheit, dafür ist unsere Möse viel zu poppig und abstrakt.“
Der Gruppe geht es darum, selbstbewußt frauenbezogene Sexualität auszudrücken. Außerdem erhoffen sich die Frauen, mit ihrem provokanten „Mösenmobil“ der medialen Überpräsenz der Schwulen etwas entgegenzusetzen. In der Öffentlichkeit werden meist nur nur die „Dykes on Bikes“ auf ihren schweren Maschinen wahrgenommen. Halbnackte Lederschwule und kreischende Tunten in Brokatkleidern stehlen – wenn auch unbeabsichtigt – den nur selten verkleideten Lesben die Show.
Dagegen setzen die Frauen vom Mösenmobil schon seit zehn Jahren ihre Aktionen. 1989 waren sie zum erstenmal als „lesbischer Senat“ dabei – in gediegenen Busineßkostümen als Waltraud Mompella oder Julia Limburger verkleidet. Im Jahr der dramatischen Commerzbank-Geiselnahme gingen sie als Bankräuberinnen, und 1996 gründeten sie den „Orden der Bettellesben“, um gegen Kürzungen bei lesbischen Projekten zu demonstrieren.
Die Aufmerksamkeit des Hetero-Publikums war den Frauen, die im richtigen Leben ganz seriös Ärztinnen, Juristinnen oder Tischlerinnen sind, immer gewiß. Nur ins Fernsehen oder die Zeitung schafften sie es nie. „Da werden die Schwulen noch immer vorgezogen“, sagt Christine Olderdissen, die selbst als Fernsehjournalistin arbeitet. Das wird sich in diesem Jahr dann wohl ändern. Katharina Maas
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