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Von Flaschen hat Meyer Kahn genug

Es gärt in Südafrikas Polizei. Nun soll der Topmanager des Brauereiwesens aufräumen  ■ Von Kordula Doerfler

Johannesburg (taz) – Übertreibungen sind seine Sache normalerweise nicht. Doch seinen derzeitigen Job betrachtet er als „das größte Abenteuer meines Lebens“. Es gehört schon etwas dazu, Südafrikas marode Polizei aufräumen zu wollen. Jemand, der weniger selbstbewußt ist, hätte diesen Schleudersitz womöglich gleich abgelehnt.

Nicht so Meyer Kahn, 59, einer von Südafrikas besten Managern überhaupt. Seit er vor fast einem Jahr von Polizeiminister Sydney Mufamadi (ANC) seinen Posten bekam, bleibt Kahn lieber im Hintergrund. Im Gegensatz zu seinem Gegenspieler, Polizeichef George Fivaz, kann er Auftritten vor der Presse wenig abgewinnen. Der beherrscht zwar das Vokabular der Zivilgesellschaft, ist aber ein Polizeigeneral alten Kalibers und gilt als nicht besonders effizient.

Um so größer war die Überraschung, als die Regierung ihm Kahn vor die Nase setzte – ein Zivilist ohne Stallgeruch. Das ist ohne Vorbild. Um sich den Skandal einer Ablösung Fivaz' zu ersparen, schuf man auf höchster Stelle für zwei Jahre den Posten eines zweiten, zivilen Polizeichefs. Fivaz mußte die Pille kommentarlos schlucken und versicherte eilends seine Loyalität.

Führungsetagen sind Kahn vertraut, gehört er doch zu Südafrikas Spitzenmanagern in der privaten Industrie. Unter seiner Ägide wurde der Brauereikonzern „South African Breweries“ zum unangefochtenen Giganten in Afrika, der auf dem gesamten Kontinent Bier braut und verkauft. Nun wartet Südafrikas Bevölkerung gespannt auf neue spektakuläre Erfolge des Neuen.

Vier Jahre nach dem Machtwechsel zählt Südafrika zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Zwar sind die Verbrechensstatistiken für das vergangene Jahr erstmals leicht rückläufig. Horrorgeschichten von brutalen Gewaltverbrechen zieren aber jeden Tag die Titelseiten der Zeitungen, und das Thema Kriminalität beherrscht jedes private Gespräch. Meyer Kahn allerdings enttäuscht bislang alle, die sensationsheischende Ankündigungen erhofften. Er räumt die Polizei diskret und von innen auf.

Daß es in Südafrika ein ernstes Problem mit der Kriminalität gibt, bestreitet er nicht. „Die Zahlen in der Statistik sind unakzeptabel hoch“, weiß er. Einfache Lösungen indessen hat er nicht. Während viele Südafrikaner nach der Wiedereinführung der Todesstrafe schreien, ist für Kahn das Problem vielschichtiger. Gründe wie hohe Arbeitslosigkeit und die Erblasten der Apartheid-Zeit addieren sich da zusammen.

Dazu gehört auch ein extrem unmotivierter, schlecht bezahlter und korrupter Polizeiapparat. Ein einfacher Polizist erhält gerade mal umgerechnet 400 DM im Monat als Einstiegsgehalt. Mehr als ein Drittel kann nicht oder nur ungenügend lesen und schreiben, durchschnittlich 10.000 pro Tag kommen erst gar nicht zum Dienst. Viele bessern ihr Salär auf, indem sie mit organisierten Banden gemeinsame Sache machen. Dazu sind die meisten Wachen in den ehemaligen Townships und in ländlichen Regionen miserabel ausgestattet. Oft gibt es nicht einmal eine eigene Telefonleitung.

Noch schwerer wiegen Mängel in der Ausbildung. Die meisten Polizisten haben nie gelernt, wie man in einem demokratischen Rechtsstaat ermittelt. In der Apartheid- Zeit waren sie vor allem dazu da, Aufstände niederzuknüppeln und Geständnisse herauszufoltern. Daß man bei der Untersuchung eines Raubüberfalls Protokoll führt und beispielsweise Augenzeugen namentlich notiert, wissen immer noch die wenigsten. Erschreckend hoch ist auch die Gewaltanwendung gegenüber Verbrechern: Von April bis Dezember des vergangenen Jahres starben 534 Menschen an den Folgen von Polizeigewalt, ein Drittel davon in Haft, der Rest während oder nach Einsätzen.

All dies ist nur langfristig zu bekämpfen, das weiß Kahn. „Die Moral unserer Gesellschaft hat einen Tiefstand erreicht“, lautet seine Analyse. „Dasselbe gilt für die Polizei.“ Sein Hauptaugenmerk liegt deshalb vorerst auf dem Machbaren: der Neuorganisation des Apparats. Denn die Krise von Südafrikas Polizei ist auch eine Krise des Managements. Dabei bemüht der Manager Kahn sich stets, die knapp 130.000 Polizisten in Schutz zu nehmen, so weit es geht. Das fördert die Motivation der Truppe, der die Bevölkerung kaum noch etwas zutraut.

In seinen Kreisen gilt er indessen als knallhart und zielstrebig. Wer in seinen Augen unfähig ist, hat nichts zu lachen. Wie viele Polizisten dazu gehören, sagt er in der Öffentlichkeit nicht. Mindestens zehn Prozent des Korps aber hält er auf Nachfrage doch für ungeeignet. In Zukunft sollen bei der Einstellung Mindeststandards angelegt werden: keine Vorstrafen, ein Führerschein, ein qualifizierter Schulabschluß und gute körperliche Verfassung.

Das Zauberwort für die Zukunft heißt Präsenz. Indem Polizisten vor Ort unter Beweis stellen, daß es sie überhaupt gibt, sollen sie das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen – die ihrerseits die Spielregeln einer demokratischen Gesellschaft erst erlernen muß.

Das kommt schon fast der Quadratur des Kreises gleich. „Die Seele einer Nation zu verändern“, räumt Meyer Kahn ein, „ist ein Langzeitprojekt.“ Sein Vertrag ist dann längst beendet.

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