Getanzt ist besser als gekickt

Eigentlich wollte ich Fußball gucken. Deutschland gegen Iran. Aber hier will einfach kein Tor fallen, kein Abpfiff kommt. Nicht einmal ein Ball ist zu sehen. Und nach einer Stunde hören die Spieler ziemlich abrupt auf und verlassen den Raum. Ja, wollen die denn gar nicht gewinnen?

Renate Graziadei (Österreich), Sasa Queliz (Dominikanische Republik) und Arthur Stäldi (Schweiz) setzen ihren Körper bei der Tanzproduktion Idyll No. 5 für ganz andere Kategorien als Sieg oder Niederlage ein. Natürlich geht es auch ihnen um Körperbeherrschung. Was den deutschen Fußballnationalspielern so schmerzlich fehlt, Grazie und Leichtigkeit, das schenkt uns die Tanzcompagnie Labor GRAS 888 überreichlich. Seit zwei Jahren arbeiten deren Gründer Renate Graziadei und Arthur Stäldi zusammen mit dem Musiker K.-H. Schöppner und dem Licht- und Videokünstler Michael Jiv Wagner. In bisher vier Versionen von Idyll haben sie mit verschiedenen Gasttänzern den Dreiklang von Bewegung, Licht und Tönen erforscht. Bei ihrer jüngsten Version stehen drei Personen auf der eigens eingerichteten Studiobühne in der Max-Brauer-Allee.

Zwei Frauen, ein Mann: eine gefährliche Ausgangskonstellation. Und tatsächlich entstehen die stärksten Momente aus der Konkurrenz oder der erotischen Annäherung heraus. Renate Graziadei, eine unglaublich geschmeidige Tänzerin, nähert sich mit fließendem Gang ihrer Konkurrentin am anderen Ende des Raums – um ihr dort fast ein Bein zu stellen. Der kraftvolle Arthur Stäldi hingegen lacht Sasa Queliz mit blitzenden Augen an, geht auf sie zu – und hebt die sonst so wilde Tänzerin in immer langsameren, intimeren Wiederholungen wie eine Marionette hoch. In einem Pas de trois schließlich vereinen sich alle zu einem wellenförmigen Auf und Ab der Glieder. Solche erzählerischen Szenen bleiben die Ausnahme. Dafür läßt die traumverlorene Stimmung Raum für den eigenen Gedankenfluß. Wunderschön etwa die wie Katzenzungen an Wänden und Boden leckenden Lichtkegel, die jede Bewegung der Tänzer noch weicher erscheinen lassen.

Ein Idyll? Schön ist das alles schon anzuschauen. Statt grellen Flutlichts im Fußballstadion sanfte Hell-Dunkel-Effekte, statt Sprechgesänge atmosphärische Klänge, statt strammer Waden geschmeidige Körper – die in fast fußballkompatiblen kurzen Hosen stecken. Doch die darübergezogenen Leibchen aus weißen Gazepflastern und die Reifröcke aus dünnem Drahtgestell belehren uns eines besseren: In diesem Outfit schießt man keine Tore. Schade eigentlich.

Karin Liebe

Studiobühne im Hinterhof der Max-Brauer-Allee 163a; noch heute und morgen sowie vom 2. bis 5. Juli