piwik no script img

Gefährdung durch falsche Politik

1997 waren Fahrradfahrer in Berlin in rund 6.600 Unfälle verwickelt. Die fehlende Sichtbeziehung zwischen Auto- und Radfahrern ist eine häufige Unfallursache. Viele Radwege sind falsch konzipiert  ■ Von Volker Wartmann

Rund die Hälfte aller für Fahrradfahrer tödlich verlaufenden Unfälle ist der Tatsache geschuldet, daß sie von rechtsabbiegenden Autofahrern übersehen werden. „Radwege, die rechts vom ruhenden Verkehr auf dem Gehweg verlaufen, sind organisierte Todesfallen für Radfahrer“, sagt Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. „Wider besseres Wissen werden solche Radwege aber auch heute noch gebaut.“

1997 waren laut offiziellen Polizeiangaben Fahrradfahrer in Berlin in rund 6.600 Unfälle verwickelt. Über die Hälfte der erfaßten Unfälle (3.340) waren demnach von Radfahrern verursacht, an rund 800 weiteren waren sie zumindest teilschuldig. 18 Radfahrer starben letztes Jahr bei Verkehrsunfällen, rund 550 trugen schwere Verletzungen davon. Leichtverletzte Radfahrer wurden 1997 rund 4.000 gezählt. Bundesweit werden nach Angaben des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs e.V. (ADFC) etwa 42 Prozent aller Fahrradunfälle von Radfahrern selbst verschuldet.

Die von Radfahrern in Berlin verursachten Unfälle haben vorwiegend folgende Ursachen: Benutzung der falschen Fahrbahn und Fehler beim Einfahren in den Fließverkehr. Technische Mängel am Fahrrad oder das Fahren ohne Beleuchtung sind nur in seltenen Fällen der Grund für Radfahrerunfälle. „Wenn man die Radwege auf die Straße verlegt und Radfahrern direkt rechts neben dem Autoverkehr genügend Platz auf Fahrradstreifen einräumt, fallen die Hauptursachen für von Radfahrern verschuldeten Unfälle weg“, so Benno Koch, Berliner Pressesprecher des ADFC. „Kaum ein Radfahrer wird auf der Straße in entgegengesetzter Richtung fahren. Und wenn Radlern ausreichend Raum auf der Straße eingeräumt wird, fällt auch das Problem des Einfahrens in den Fließverkehr weg.“

Aufgrund der einseitigen Prioritätensetzung der Senatsverkehrsverwaltung würden die Radfahrer an den Rand beziehungsweise auf den Gehweg gedrängt. Dabei sei es immer sicherer für Radfahrer, wenn zwischen ihnen und den Autofahrern eine Sichtbeziehung bestehe. „Daß Radfahrer nichts auf der Straße zu suchen haben, ist reine Ideologie“, so Koch. „Radfahrer gefährden sich in erster Linie nicht selbst, sondern werden durch eine falsche Verkehrspolitik gefährdet.“

Nur etwa sechs Prozent beträgt der Radverkehrsanteil in Berlin. In vielen Großstädten Deutschlands ist der Anteil der Radfahrer am gesamten Verkehrsaufkommen wesentlich höher als in Berlin. Im Bundesdurchschnitt sind es immerhin etwa zehn Prozent. Zum Vergleich: In den Niederlanden werden durchschnittlich 27 Prozent aller Wege mit dem Rad zurückgelegt.

„Der geringe Anteil der Radfahrer am gesamten Verkehrsaufkommen hängt eng mit mit der fehlenden Sicherheit für Radfahrer im Straßenverkehr zusammen“, so Stefan Kothe, zuständig für die Pressearbeit des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). „Aufgrund der schlechten Bedingungen für Radfahrer trauen sich viele nicht, in der Innenstadt Fahrrad zu fahren. Man wird ja teilweise für verrückt erklärt, wenn man in Berlin Rad fährt.“ So habe etwa Debis seien Mitarbeitern empfohlen, in Berlin nicht Rad zu fahren, weil das zu gefährlich sei.

„Die Innenstadtbezirke würden gerne mehr für die Sicherheit der Radfahrer machen. Die Senatsverkehrsverwaltung läßt solche Maßnahmen aufgrund ihrer Prioritätensetzung für den Autoverkehr jedoch nicht zu“, sagt Felix Beutler, Mitglied im Arbeitskreis Verkehr beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Nahezu sämtliche Verkehrsregelungen in Berlin sind autogerecht, aber in keiner Weise fahrradgerecht.“

„Angesichts der Überbreite der Autofahrspuren wäre beispielsweise mit nur geringem Aufwand die Markierung eines kompletten Radstreifennetzes rund um den Alexanderplatz möglich, ohne die derzeitige Leistungsfähigkeit für den Autoverkehr zu beinträchtigen“, sagt Peter Lexen, Leiter des Tiefbauamtes Mitte. Auch auf vielen anderen Hauptverkehrsstraßen sei genügend Platz für die problemlose Einrichtung von Radfahrstreifen zur Erhöhung der Sicherheit der Radfahrer, „sogar ohne den Autoverkehr einzuschränken“.

Grünen-Sprecher Cramer fordert eine verkehrspolitische Wende. „Die Fahrradfahrer werden schikaniert, wo es nur geht. Die aktuelle Berliner Verkehrspolitik ist umwelt- und menschenfeindlich. Ziel muß sein, mit einer anderen Verkehrspolitik ein fahrradfreundlicheres Klima zu schaffen. Je mehr Radfahrer sich auf den Straßen befinden, desto größer ist ihre Sicherheit“, so Cramer. „Viele Menschen möchten gerne mehr Rad fahren. Das zeigt die starke Zunahme des Fahrradtourismus.“

Die Kritik der Fahrradlobbyisten an der aktuellen Berliner Verkehrspolitik wird von unabhängiger Seite bestätigt: Das „Fahrradklima“ unter den Gesichtspunkten „Stellenwert des Fahrradverkehrs“ und „Modellhafte Ansätze“ wurde von der Stiftung Warentest im letzten Jahr mit „mangelhaft“ bewertet.

Zum 1. Oktober dieses Jahres wird eine Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO) in Kraft treten, die sogenannte Fahrrad- Novelle. Von diesem Zeitpunkt an wird die Benutzung von Radwegen nur noch dann Pflicht sein, wenn diese bestimmten Kriterien wie beispielsweise 1,50 Meter Mindestbreite genügen und ausgeschildert sind. „Etwa zwei Drittel aller Radwege in Berlin erfüllen die in der StVO-Novelle geforderten Mindestkriterien nicht“, so Verkehrsexperte Cramer. „Die Fahrradfahrer werden sich die Straße zurückerobern. Sie werden für die Autofahrer besser wahrnehmbar sein als bisher. Dann ist der Konflikt da, wo er hingehört: auf der Straße.“ Der gesundheitspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Bernd Köppl, meint angesichts der aktuellen Fahrradverkehrspolitik: „Fahrradfahrer haben nichts zu verlieren als ihre Ketten.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen