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"Kunst ist nur ein Nebenprodukt"

■ An der gestern eröffneten Kölner Retrospektive seines Werks hat Robert Rauschenberg selbst mitgearbeitet. Eine "lebende Legende", die keine sein will, über Malerei, Fotografie, Ikonisierung und die Kunst z

Der Kunstolymp ehrt seine Klassiker: Nach Warhol, Lichtenstein und Jasper Johns hat das Guggenheim Museum im vergangenen Jahr auch Robert Rauschenberg mit einer Retrospektive bedacht (siehe taz vom 14.10. 1997). Wie die seiner Vorgänger ist auch Rauschenbergs Werkschau nun in Köln zu sehen. Milton Ernest „Robert“ Rauschenberg, geboren am 22. Oktober 1925 im texanischen Port Arthur, war einer der radikalsten Exponenten einer Kunst, die gegen den abstrakten Expressionismus aufbegehrte. 1953 radierte er eine Zeichnung seines Kollegen Willem de Kooning aus, um sie als „Erased De Kooning Drwaing“ auszustellen. Bis heute sucht Rauschenberg nach Ausdrucksformen gegen die Lücke zwischen Kunst und Leben.

taz: Vor dem Museumseinganz steht ein riesiges Plakat, das eine „lebende Legende“ ankündigt...

Robert Rauschenberg: Das „lebend“ daran ist sehr nett. Die Legende wird langsam alt – obwohl ich eigentlich gar nicht weiß, was eine Legende ist.

Sie sind jetzt 72 und arbeiten nach wie vor ständig an neuen Werken...

Ich fühle jeden Tag eine einmalige Energie in mir. Deshalb war es für mich so schwer, mit dieser Ausstellung umzugehen. Bei einer Retrospektive geht es fast ausschließlich um die Vergangenheit. Das ist emotional sehr kräfteraubend, weil man dauernd nach den Gefühlen gefragt wird, die man hatte, als man vor vierzig Jahren etwas malte. Wir haben allein drei Jahre am Katalog gearbeitet, weil ich darauf bestanden habe, jedes einzelne Wort zu lesen. Ich war auf diese Weise mein eigener Psychoanalytiker.

Hatten Sie in der Zeit der Vorbereitung auch noch Zeit für aktuelle Arbeiten?

Ich habe mir Zeit genommen, aber nicht nach einem festen Stundenplan. Stundenpläne funktionieren nie.

Warum haben Sie sich an der Hängung der Ausstellung beteiligt?

Ich sehe es als meine Verantwortung an, dafür zu sorgen, daß die Dinge klar gesehen werden können: bei guter Beleuchtung und ausreichendem Platz.

Sind Sie, als Meister der Kombination und des Mixes, glücklich mit dem chronologischen Aufbau?

Eine chronologische Hängung kann eine Ausstellung zerstören. Der Kurator Walter Hopps und ich haben aber eine Übereinkunft, nicht konsequent darauf bestehen zu müssen. Die Chronologie hilft den Besuchern zu sehen, was man macht und wohin man will. Deshalb ist die Zeit nur so etwas wie eine Krücke. Die Alternative, eine Anordnung nach Werkgruppen, hätte mein Werk noch stärker verzerrt. Ich war immer Fotograf, Grafiker, Tänzer, Schauspieler, Maler gleichzeitig. Ich hatte mal Appetit auf dies, und wenn meine Freunde etwas anderes entdeckten, bekam ich Appetit auf das. Alles bezieht sich aufeinander.

Sehen Sie einen solchen Ansatz noch in der aktuellen Kunst?

Die meisten der Künstler heute denken, daß Künstler sein bedeutet, Kunst zu machen. Für mich ist Kunst nur ein Nebenprodukt, ein Ergebnis, der Beweis für irgend etwas anderes, dafür, wo ich war und wohin ich ging.

Sie haben als Fotograf begonnen. Die Kölner Galerie Schüppenhauer zeigt eine Auswahl Ihrer Aufnahmen...

Ja, und mein Sohn Christopher, der auch fotografiert, hat ebenfalls eine Ausstellung in Köln. Seid vorsichtig: Es sind zu viele Rauschenbergs in der Stadt!

Fotografieren Sie noch?

Oh, ja, ich liebe die Fotografie, weil sie mir eine Entschuldigung dafür gibt, alles sehen zu wollen. Ich bin nicht sicher, ob ich ohne meine Kamera auf jeden Schatten achten würde. Viele der Bilder, die ich in meinen Arbeiten verwende, stammen von mir selbst. Als ich am White Mountain College bei Albers und Kline studierte, konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich Fotograf oder Maler werden wollte. Mein Projekt war damals, buchstäblich jede Ecke der USA zu fotografieren. Vielleicht ist meine Kunst so etwas wie die zusammengebrochene Verallgemeinerung dieser Idee. Sie steht aber immer noch für mein Gefühl, daß die Menschen einander kennenlernen sollten.

Wie wichtig sind die Werke, die in Köln aus der Sammlung Ludwig dazugekommen sind?

Ludwig war der erste, der die amerikanische zeitgenössische Malerei sehr früh respektiert und darauf reagiert hat – lange bevor das die Amerikaner selbst taten. Er hatte ein erstaunliches Auge.

Sie sprechen, wenn Sie Ihre eigene Kunst beschreiben, nie von Pop-art...

Ich hasse das Wort, und ich denke, daß ich auch kein Pop-artist bin. Als diese Bewegung und der Begriff aufkamen, habe ich nur das weitergemacht, was ich schon 20 Jahre zuvor begonnen hatte. Interview: Stefan Koldehoff

„Robert Rauschenberg – Retrospektive“. Museum Ludwig, bis zum 11. Oktober. Katalog: Hatje Verlag, Stuttgart, 632 Seiten mit 735 Abb., gebunden, 168 DM, im Museum 68 DM

„Robert Rauschenberg – Photographs“. Köln, Galerie Schlüppenhauer, bis 11. Oktober

„Christopher Rauschenberg – Song of the Road“. Neurologisches Therapiecentrum, Turiner Straße 2, bis 7. August

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