: Offene Worte von Clinton und Jiang
Der US-Präsident macht die Niederschlagung des „Pekinger Frühlings“ auf dem Tiananmen-Platz zum Thema ■ Aus Peking Georg Blume
Im Tonfall freundlich, in der Sache hart: So traten sich am Samstag zwei Staatslenker entgegen, die sich geschworen haben, die Freundschaft ihrer Völker höher zu bewerten als den Konflikt ihrer Systeme: „Unsere Freundschaft mag nie perfekt werden, aber ich hoffe, sie wird ewig halten“, stipulierte ein selbstsicherer Bill Clinton in der Großen Halle des Volks, nachdem er seinem Gastgeber Jiang Zemin kurz zuvor eine bitterböse Geschichtslektion erteilt hatte – über die Geschehnisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens vor neun Jahren: „Bei aller Übereinstimmung, stimmen wir über das, was damals passierte, nicht überein. Die Anwendung von Gewalt und der tragische Verlust von Menschenleben waren falsch.“
Deutlicher konnte Clinton kaum werden. Man konnte sich denken, daß dem chinesischen Fernsehpublikum, das auf Drängen der Amerikaner erstmals live zur Pressekonfernz zweier Staatspräsidenten zugeschaltet war, die Spucke wegblieb. Jedenfalls hatte es über den „Verlust von Menschenleben“ während der Studentenrevolte von 1989 aus so offizieller Quelle noch nie etwas erfahren.
Andererseits aber war auch der Gastgeber um eine Antwort nicht verlegen: „Ich habe Präsident Clinton sehr genau zugehört. Aber hätte die chinesische Regierung damals keine harten Maßnahmen getroffen, könnten wir nicht die Stabilität genießen, die wir heute haben“, konterte Jiang.
Die überraschende öffentliche Debatte der mächtigsten Männer in Ost und West war damit nicht beendet: „Stabilität im 21.Jahrhundert wird ein hohes Maß an Freiheit erfordern“, gab der amerikanische Präsident einer Milliarde ChinesInnen die Lektion des angebrochenen Informationszeitalters. „Die Wirtschaft der ganzen Welt beruht heute auf Ideen, Information, Austausch und Debatte.“ Doch Kommunist Jiang ließ sich nicht bekehren: „Unsere zwei Länder verwirklichen die Menschenrechte und Grundfreiheiten auf unterschiedliche Art und Weise. China räumt dem Recht auf eine Existenzgrundlage und dem Recht auf Entwicklung Priorität ein“.
Trotz solch unmißverständlich vorgetragener Gegensätze entstand während Clintons erstem Chinabesuch nicht der Eindruck, als könnten die Präsidenten der USA und Chinas keine gemeinsame Sprache finden. Vielmehr sprach Clinton von „legitimen und ehrlichen Meinungsverschiedenheiten“, während Jiang das Gespräch vor laufenden Kameras immer wieder aufleben ließ, indem er Clinton – ob in Sachen Dalai Lama oder dem Umgang mit Dissidenten – zur Intervention regelrecht aufforderte.
Tatsächlich wissen beide Seiten, daß ihre Übereinstimmung in wirtschaftlichen Fragen fürs politische Alltagsgeschäft derzeit wichtiger ist als die heißdiskutierte Menschenrechtsfrage. In der Krise, die seit einem Jahr die asiatischen Finanzmärkte in Mitleidenschaft zieht, haben Peking und Washington ihre vielbeschworenen „gemeinsamen Interessen“ entdeckt. So würdigte Clinton die „große Staatskunst“ der Chinesen, die er darin erkannte, daß Peking seine Währung bislang nicht abwertete. Umgekehrt zeigte sich die chinesische Regierung dankbar, daß die Erneuerung der Meistbegünstigstenklausel für China unter Clinton zur jährlichen Routinesache geworden sei. Die Klausel sichert chinesischen Exporteuren den offenen amerikanischen Markt – und von ihm hängt das Wachstum in der Volksrepublik inmitten der Asienkrise mehr ab denn je.
Die koordinierte Wirtschaftspolitik Chinas und der USA hat jedoch politische Risiken: Denn sie richtet sich derzeit gegen Japan, das man für die mit dem Yenverfall verschärfte Währungskrise verantwortlich macht. „Wir können unterstützend wirken, aber die Japaner müssen die richtigen Entscheidungen treffen“, räumte Clinton ein. An diesem Punkt konnten ihm auch seine Gastgeber nicht helfen.
Allen Krisengeschreies zum Trotz aber konnte sich der US-Präsident dann richtig entspannen: Mit Hunderten aufrichtigen chinesischen Christen besuchte er gestern die größte protestantische Gemeinde in Peking. Kommunisten waren hier nicht anzutreffen, denn noch immer verbietet die Parteimitgliedschaft eine religiöse Zugehörigkeit. Dafür durfte sich Clinton vor Ort überzeugen, wie populär das Christentum in China heute ist. „Als wir 1980 nach der Kulturrevolution wiederöffneten, waren wir ein paar Dutzend Gläubiger. Heute kommen jede Woche 5.000 Kirchengäste“, berichtete Gemeindepfarrer Liu Hong Liang dem amerikansichen Präsidenten. Debatte Seite 12
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