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Der Krieg rückt näher an Priština

Neue Partei der Kosovo-Albaner will Sprachrohr der Befreiungsarmee werden  ■ Aus Priština Erich Rathfelder

Schon von weitem sind die Rauchschwaden zu erkennen, die von brennenden Häusern aufsteigen. Deutlich sind Artillerieschüsse zu hören, Maschinengewehrfeuer und Schüsse aus Gewehren. Von dem Dorf Svinjare (alb.: Frasher) aus, das 25 Kilometer nördlich von Priština, der Hauptstadt Kosovos, liegt, gehen serbische Einheiten gegen die weiter südlich gelegenen albanischen Dörfer vor.

Ziel der serbischen Militäraktion ist das Großdorf Pantina, in dem sich Kämpfer der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UCK verschanzt haben sollen. „Wir haben die UCK zu Hilfe gerufen, um unser Dorf vor den Angriffen der Serben zu schützen“, sagen die albanischen Bewohner von Pantina. Es handelt sich dabei ausschließlich um Männer. Frauen und Kinder sind nach den ersten Angriffen in Sicherheit gebracht worden. Die Männer, die mit Ferngläsern die Szenerie beobachten, sind in Gruppen organisiert. Sie nennen sich „Territorialverteidigung“ und sind unbewaffnet. Alle albanischen Häuser in dem zu einem Drittel von Serben bewohnten Svinjare sind nach albanischen Angaben von serbischen Spezialeinheiten zerstört worden. Im Gegenzug wurde ein serbisches Haus in Pantina von Albanern verbrannt. Auch hier glimmen noch die Balken. Beim Versuch, auf die serbische Seite zu gelangen, werden die Journalisten bedroht und nicht in die Kampfzone vorgelassen.

Im Kosovo ist mit Pantina ein neues Kampfgebiet entstanden. Einige tausend Frauen und Kinder mußten fliehen. Auch um die in Zentralkosovo gelegene Stadt Kijevo gehen die Kämpfe weiter. Dort ist die serbische Bevölkerung der einstmals gemischten Region – nachdem die dort ansässigen Albaner vor vier Wochen vertrieben worden sind – nun ihrerseits von Albanern belagert. Die Jugoslawische Armee versucht mit Hubschraubern, serbische Frauen und Kinder aus der Enklave zu fliegen. Unterdessen ist die im Westen liegende und von Albanern gehaltene Stadt Junik weiterhin von serbischen Truppen belagert.

Ungeachtet der Tatsache, daß es einer Einheit der UCK gelungen ist, ein nur 6 Kilometer von Priština entferntes Kohlebergwerk unter ihre Kontrolle zu bekommen, bleiben die großen Städte von den Kämpfen verschont. In Priština regeln serbische Polizisten ohne spezielle Sicherheitsmaßnahmen den Verkehr; Serben und Albaner gehen ihren normalen Tätigkeiten nach. Auch in Kosovska Mitrovica, Prizren, Peć oder anderen Städten bietet sich ein ähnliches Bild. Offenbar wollen bislang beide Seiten Kämpfe in den großen Städten vermeiden.

Ehemalige Mitglieder der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) von Präsident Ibrahim Rugova gründeten am Samstag eine neue Partei, die sich als politischer Arm der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UCK präsentieren will. 105 Delegierte der neuen Demokratischen Liga wählten den Schriftsteller Rexhep Qosia zu ihrem Vorsitzenden. In den Redebeiträgen kritisierten sie scharf die bisherige Politik und das Beharren Rugovas auf einer friedlichen Lösung der Kosovokrise. Die neue Partei will die Unabhängigkeit der zu Serbien gehörenden Provinz erkämfen. Der ehemaligen Vorsitzende der Menschenrechtskommission und Vorsitzende der „Parlamentarischen Partei“, Adem Demaci, der auf dem Gründungskongreß anwesend war, erklärte gegenüber der taz, Verhandlungen mit der serbischen Seite seien nur dann sinnvoll, wenn die UCK oder ihre Vertreter in den Verhandlungsprozeß eingebunden wären. Er rief die albanische Bevölkerungsmehrheit der Provinz auf, die UCK zu unterstützen.

In Priština begannen gestern die Vorbereitungen für den Empfang einer diplomatischen Beobachtermission. Die Mission wird aus den in Belgrad akkreditierten Diplomaten zusammengesetzt sein. Das hatten der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević und der US- Beauftragte Richard Holbrooke am Donnerstag vereinbart.

UN-Generalsekretär Kofi Annan sprach sich am Wochenende indirekt für eine Intervention der Weltorganisation im Kosovo aus. Annan vertrat in einer in London gehaltenen Rede die Ansicht, daß die Lage in der Provinz eine „neue Herausforderung“ für die Weltgemeinschaft darstelle. Die UN- Charta verbiete der Organisation zwar eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Mitgliedsstaaten, allerdings würden die Grenzen zwischen internationalen Konflikten und inneren Angelegenheiten zunehmend unklarer, sagte Annan. Wenn Menschen auf der Welt in Gefahr seien, werde die Intervention zu einer „moralischen Verpflichtung“.

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