: Zweifel sind da
■ Beim glücklichen 1:0 gegen Paraguay wird das französische Stürmerproblem überdeutlich
Lens (taz) – „Bien cuit.“ Schön durchgekocht waren sie am Ende dieses Sonntag nachmittags, die Franzosen. „Allez les bleus“, hatten die Zuschauer in Lens 115 Minuten lang gefordert, und als Laurent Blanc dann endlich Paraguays Jose Luis Chilavert zum Golden Goal überwunden hatte, da waren einige der Blauen dermaßen gar, daß sie sich kaum mehr auf den Beinen halten konnten. „Wir haben ein Tor schießen müssen, bevor's zu den Penaltys gekommen wäre“, sagte Marcel Desailly, der Verteidiger, der sich die Versäumnisse seiner Vorderleute aus der Distanz hatte ansehen müssen.
Die waren in der Tat beunruhigend. Aimé Jacquets Offensiv-Abteilung hatte weiche Knie bekommen, anders ist nicht zu erklären, warum Chilavert weniger Probleme mit dem Torehüten hatte als damit, seine Mitspieler wieder aufzurichten. Der Torhüter, der nach seiner Karriere so gerne Präsident seines Landes werden will und schon heute den Militärs ans Leder will, sprach danach von der „Ehre“, gegen Frankreich gespielt haben zu dürfen. Die Paraguayer haben sich teuer verkauft – „la garra“ nennen sie den Überlebenskampf, und seit Sonntag weiß die ganze Welt, wie hart das Leben in Paraguay sein muß.
Doch die Sieger waren nicht sie. Das waren die Franzosen, wenngleich ihre Gesichter nach dem Match mehr Erleichterung als Freude ausdrückten. Und sie haben durchaus Grund zur Sorge. Ihr Problem ist, daß sie Stürmer haben, die zehn Chancen brauchen, um ein Tor zu erzielen. Dies wiederum hat zur Folge, daß die gesamte Equipe „enorme Anstrengungen“ (Jacquet) vollbringen muß, um selbst gegen drittklassige Gegnerschaft zum Sieg zu kommen. Dies kann sich rächen, wenn wie jetzt die Erholungszeit kürzer und die Gegner stärker werden.
Die klaren Siege in den Gruppenspielen täuschten darüber hinweg, wieviel Mühe Frankreich hatte, das beruhigende zweite Tor zu erzielen, das jeweils erst spät in der zweiten Hälfte fiel. „Wenn wir dreimal so ackern müssen, sind wir kaputt“, vermutete Bixente Lizarazu nach dem Spiel gegen Saudi- Arabien – gegen Paraguay war vom Bayern-Linksfuß wenig zu sehen. Und es stellt sich auch die Frage, in welchen Zusammenhang die schwachen Darbietungen eines Didier Deschamps oder Emanuel Petit zu stellen sind.
Verteidiger Lilian Thuram gab sich diplomatisch: „Es gibt immer Zweifel im Leben. Aber das wichtigste ist, daß Frankreich nicht gestoppt wurde.“ Doch die Probleme wurden nicht kleiner. Nach Stéphane Guivarc'h und Christoph Dugarry hat sich mit Thierry Henry der dritte Stürmer verletzt. Das 20jährige Talent des AS Monaco leidet unter einer Stauchung des linken Knöchels, und Jacquets Alternativen sind beschränkt, was gerade in einem Viertelfinale gegen die defensiv soliden Italiener nicht angenehm ist.
Dafür kommt Zinedine Zidane zurück, die Überfigur, die während seiner Sperre noch mehr an Gewicht erhielt, weil sie nicht ersetzt werden konnte. Gegen Paraguay löcherte zwar Ersatz Youri Djorkaeff in der Verlängerung die gegnerische Abwehr, aber das Kreativvakuum im Mittelfeld war unübersehbar.
Jacquets System ist so zentralistisch aufgebaut wie Frankreich selbst: Zidane ist das Herz, ohne ihn steht die Mannschaft zwar nicht still, aber sie findet ihren Rhythmus, ihren Stil nicht. Dieser ist sehr aufwendig, er braucht viel Kraft. Bei der EM 1996 haben die Franzosen nach den Gruppenspielen kein Tor mehr geschossen und sind in den Halbfinals gegen Tschechien ausgeschieden – weil die Stürmer nicht trafen und die anderen zu müde waren, der Offensive entscheidend zu helfen. Wenigstens Hoffnungsträger Zidane ist nach zwei Sperren ausgeruht. Jetzt muß er nach drei verlorenen Europacup-Endspielen in Folge nur noch beweisen, daß er ein Sieger ist. Michael Martin
Paraguay: Chilavert – Arce (56. Vegros), Gamarra, Ayala, Sarabia – Acuna, Paredes (75. Caniza), Enciso, Campos – Benitez, Cardozo (91. Aristides Rojas)
Zuschauer: 41.000 (ausverkauft)
Tore: 1:0 Blanc (114.)
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