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Obskure Mondfeiern in Prenzlauer Berg

■ Die Heidnische Gemeinschaft lädt Kinder in Prenzlauer Berg zu "Vollmondfesten". Bürgerinitiative sieht Verbindung der Gruppe zu Neonazis. Jugendsenatorin Stahmer setzt auf Information und Aufklärung.

Mit einer umfangreichen Flugblattaktion versucht die „Heidnische Gemeinschaft“ in Prenzlauer Berg, Eltern und Kinder zu rekrutieren. Unter dem Motto „Singen– Tanzen–Trommeln–Reinigungsriten–Natur erfahren“ wird unter anderem für ein „Vollmondfest im Freien“ geworben. „In geeigneter Atmosphäre wollen wir ein Ritual gestalten, um Verbindung zu den ursprünglichen Kräften in der Natur aufzunehmen.“ Auf einem anderen Werbezettel werden in krakeliger Kinderschrift Eltern angesprochen. Fünf- bis Vierzehnjährige sollen danach an jedem Samstag nach Neumond in der Pasteurstraße im Bötzowviertel bei der „Heidnischen Gemeinschaft“ abgegeben werden. „Eltern, ihr könnt euer Kind herbringen und wieder abholen“, heißt es auf den Zetteln. Unter den angegebenen Telefonnummern meldet sich lediglich ein Anrufbeantworter. „Hexen und Heiden“, säuselt es vom Band, „auch die, die es noch werden wollen, sind hier richtig. Verrate uns deinen Namen und deine Adresse...“ Im umgekehrten Fall ist man eher zurückhaltend: Trotz mehrmaliger Anfrage der taz kam keine Antwort.

Die Heidnische Gemeinschaft (HG) ist eine Gruppe, die laut ihrer Satzung Menschen anspricht, die sich „zu den heidnischen Naturgöttern und zur germanisch- wendischen-keltischen Naturreligion“ bekennen. Im Jahr der Gründung 1985 sollen, wie der Spiegel im selben Jahr berichtete, rechtsextreme Mitglieder versucht haben, den Landesverband der Berliner Grünen zu unterwandern. Nach Angaben der Bürgerinitiative Bötzowkiez ist der „bekannte Neonazi“ Michael Pflanz Gründungsmitglied und Schriftführer der HG und ständiger Mitarbeiter der Mitgliedszeitschrift Runensteine. Michael Pflanz hält zudem Kontakte zu den aktivsten Neonazis der Stadt.

Im Jahre 1991 spaltete sich von der 1985 gegründeten HG die sozialdarwinistisch orientierte Germanische Glaubensgemeinschaft (GGG) ab, die mehrfach mit eindeutig rechtsextremen Stellungnahmen unter anderem in der Asylfrage auf sich aufmerksam machte. Unter anderem hält die GGG es laut ihrem Vorsitzenden Geza Nemenyi „im Interesse der Arterhaltung für dringend notwendig, daß der Kranke und Schwache untergeht“.

Auch wenn eine Doppelmitgliedschaft laut Satzung verboten ist, bezweifeln Experten, daß die Gruppen nicht mehr miteinander in Verbindung stehen. Das „Handbuch Rechtsextremismus“ führt die HG Berlin nach wie vor als Untergruppe der GGG. Die Mitgliederzahl der GGG schätzt das Handbuch auf etwa 250.

Nach Ansicht der Sektenbeauftragten Anne Ruehle ist die HG seit der Abspaltung nicht mehr „eindeutig in die rechte Ecke zu stellen“. Auf sich aufmerksam mache die HG allerdings mit „einem Sammelsurium aus allem, was so geht“: Hexenkurse, Vollmondrituale, Handlesen, Kartenlegen. Vorträge der HG finden vor allem in einer als „Zentrum für ganzheitliche Heilkunde“ getarnten Wohnung in Mitte statt.

Aufmerkam geworden auf die „Heiden als Rattenfänger im Prenzlberg“ ist auch die PDS-Abgeordnete Marion Seelig. In einer Kleinen Anfrage verlangte sie vom Senat eine Stellungnahme zur HG. Man könne die HG nicht als Sekte bezeichnen, antwortete Jugendsenatorin Ingrid Stahmer. Sie setzt auf Information und Aufklärung. Ansonsten obliege „die Entscheidung über die religiöse bzw. spirituelle Erziehung ihrer Kinder den Eltern“. jago/küp

Die Bürgerinitiative Bötzowkiez veranstaltet heute um 20 Uhr im 1. Gymnasium, Pasteurstraße 7–11, einen Informationsabend. Geladen sind Pfarrer Gandow, Sektenbeauftragter der evangelischen Kirche, und der Religionswissenschaftler Markus Wende.

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