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Marokkozauber und Bertifußball

Bei der Weltmeisterschaft in Frankreich wird das heute beginnende Viertelfinale von europäischen Teams dominiert, doch für den Spaß sorgten vor allem die Weitgereisten  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Kaum hatte sich das deutsche Team mit einem dürftigen 2:0 gegen den Iran ins Achtelfinale der WM gewurschtelt, da brach sich im kleinen Berti Vogts unversehens europäische Großmannssucht Bahn. Mehr Mannschaften aus Europa sollten bei künftigen Weltmeisterschaften mitkicken dürfen, forderte er, dafür sollten einige dieser minderbemittelten Mannschaften aus Afrika, Asien, Mittel- und Nordamerika wegbleiben, die beim Turnier der Weltbesten eigentlich ja nichts zu suchen hätten, so platzte es sinngemäß aus dem Bundestrainer heraus. Noch mehr von solchen taktierenden Langweilern wie Österreich, Belgien, Bulgarien, Norwegen, Rumänien also, noch mehr Spanier, die erst, wenn alles zu spät ist, merken, daß man Fußball auch spielen kann, und nicht zuletzt noch mehr Teams wie sein eigenes Konglomerat von zwecklosen Zweckfußballern. Und weil er so schön dabei war, forderte Vogts auch für die zweite Runde Gruppenspiele, damit die taktierenden Langweiler noch länger langweilig taktieren können, statt aufs Ganze gehen zu müssen.

Treffsicherer hätte der Oberlehrer des deutschen Fußballs nicht deutlich machen können, daß seine Ansichten über den Weltfußball ebenso antiquiert sind wie die taktischen Vorgaben für seine Mannschaft. Gerade diese WM hat gezeigt, daß sich Hoffnungen für die Zukunft des Fußballs viel eher an Teams von den von Vogts geschmähten Kontinenten knüpfen, als an jene aus der alten Fußballwelt, bei denen bisher nur die Niederlande, England und mit Abstrichen Italien und Frankreich zu modernem, attraktivem Fußball fähig waren.

„Ich habe Angst, daß die WM in Frankreich stinklangweilig wird“, hatte der Argentinier Cesar Luis Menotti, der heilige Prophet all jener, die an das Schöne im Fußball zu glauben glauben, vor dem Turnier gedräut. Daß er nicht recht behielt, war in erster Linie ein Verdienst solcher Mannschaften wie Marokko, Japan, Iran, Nigeria, Südafrika, Tunesien, USA, Mexiko und selbst Jamaika, die alle phasenweise wunderbaren Fußball boten und – samt ihrer Fans – vor allem das erkennen ließen, was den meisten Europäern völlig fehlte: Freude am Spiel. Nigeria war dabei nicht nur selbst phänomenal, sondern sorgte nebenbei dafür, daß auch die Gegner ungewohnt spektakulär auftraten.

Bleibt die Frage, warum sie alle draußen sind. Warum stehen im Viertelfinale bis auf Dänemark genau jene Mannschaften, die man dort erwartet hat? Warum sind es wieder sechs europäische Teams und zwei aus Südamerika, was immerhin einen Fortschritt gegenüber USA 1994 ist, als die Formel siebenmal Europa plus Brasilien hieß? Dies, obwohl die Jugendweltmeisterschaften seit Jahren von Afrika, Asien und Südamerika dominiert werden. Taktik und Mentalität, lautet die gängige Antwort, aber diese wird den Entwicklung der letzten Jahre längst nicht mehr gerecht. Bei dieser WM wurde deutlich, daß die Ursache im Zusammentreffen verschiedener Umstände, zum Beispiel purem Pech (Marokko, Kamerun), komplettem Versagen vor Gegners Tor (Japan, Paraguay, USA) oder übermäßigem Respekt (Mexiko, Iran), aber auch in strukturellen Gegebenheiten zu suchen ist.

Die Fülle von Trainer-Rauswürfen noch während der WM zeigt zur Genüge, woran es vor allem den Mannschaften aus Asien und Afrika mangelt: Kontinuität. Das liegt an den Funktionären der Verbände, die auf vermeintliche Trainermagiere aus Brasilien und Europa setzen, von diesen kurzfristige Wunder erwarten und sie noch kurzfristiger entlassen, wenn irgend etwas schiefgeht. Unter diesen Umständen ist es den Spielern kaum zu verdenken, wenn sie den Anweisungen und Ideen der flüchtigen Platzhalter nicht allzuviel Bedeutung beimessen. Der regelmäßige Streit ums Geld im Lager solcher Teams wie Nigeria oder Kamerun zeigt zudem, daß die Verbände dieser Länder die ihnen zur Verfügung stehenden Finanzen nicht unbedingt zum Wohle der Mannschaft einsetzen, um es zurückhaltend zu formulieren.

Schwerer wiegt jedoch, daß die besten Spieler aus Afrika und Südamerika bei europäischen Klubs unter Vertrag stehen und nur relativ selten ihrem Nationalteam zur Verfügung stehen, im wesentlichen bei Qualifikationsspielen und den Kontinentmeisterschaften. Eine Konstellation, unter der selbst Argentinier und Brasilianer leiden, denen man in Frankreich deutlich anmerkt, daß sie sich erst während des Turniers langsam einspielten. In Europa verdient der Fußball sein Geld, und so ist es nicht verwunderlich, daß angesichts der Zunahme europäischer Cup-Wettbewerbe und einer nicht mehr fernen Europaliga Klubmanager wie etwa Uli Hoeneß die Verpflichtung, ihre ausländischen Stars abzustellen, weiter einschränken wollen.

Ein diesbezüglicher Konflikt in der Fifa ist vorprogrammiert, und sicher hat bei der Wahl des Fifa- Präsidenten auch eine Rolle gespielt, daß das Tandem Blatter/ Platini in dieser Frage eine weniger eurozentristische Position einnimmt als der Uefa-Präsident Johansson. Blatter favorisiert eine bessere Abstimmung der Terminkalender und regte in einem Interview mit der spanischen Zeitung El Periódico zum Beispiel an, aufgeblähte Meisterschaftsrunden wie in England oder Spanien zu verkürzen, um Platz für die Belange der Länderteams zu schaffen. Die jeweiligen Fernsehsender werden für solche Bestrebungen wenig Begeisterung aufbringen, außerdem stehen einer Parallelität der Fußballkalendarien auf Nord- und Südhalbkugel klimatische Probleme entgegen.

Wer das Geld hat, hat das Sagen, und daher darf davon ausgegangen werden, daß sich an der Dominanz der Europäer auch 2002 in Südkorea/Japan und 2006 in Südafrika/Hooliganien nichts grundsätzlich ändern wird. Für den Spaß aber werden auch dann wieder jene sorgen, die nach Meinung von Leuten wie Berti Vogts dort überhaupt nichts zu suchen haben.

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