: „Es gibt göttliche Gerechtigkeit“
Auf dem Balkan herrscht Krieg. Auf dem Balkan gibt es nur ein Thema: Fußball. Die Kroaten sind schon jetzt Weltmeister, und Tore werden mit Feuergefechten gefeiert ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder
In Kroatien wie auf dem gesamten Balkan gibt es nur ein Thema: Fußball. Selbst der Krieg im Kosovo wird verdrängt. Zwar warnen Experten vor zuviel Euphorie vor dem heutigen Viertelfinalspiel gegen Deutschland. Doch davon wollen die Kroaten nichts wissen. „Wir schlagen die Deutschen, wir sind die Besten.“
Nicht nur auf der Welt. Sondern vor allem auf dem Balkan. Der Konkurrenzkampf zwischen Serben und Kroaten wurde zugunsten der Kroaten entschieden. Fast so wie im wirklichen Krieg. Zwar hielten sich die Sprecher der Fernsehanstalten beider Seiten während der Vorrunde zurück. Es wurde bewußt fair und objektiv berichtet. Doch als der Erzfeind Jugoslawien gegen die Niederlande eine Elfmeterchance erhielt, die dann vertan wurde, entfuhr dem kroatischen Sprecher doch der Satz: „Es gibt noch eine göttliche Gerechtigkeit.“
Manche kroatische Veteranen des Krieges holten nach der Niederlage der Serben voller Freude die Maschinenpistole aus dem Schrank. Die Ballerei zielte zwar in die Luft, in der kroatischen Hauptstadt Zagreb mußten dennoch viele Menschen von der Straße fliehen. Und in Belgrad drückten die Serben den Rumänen im Spiel gegen Kroatien die Daumen. Nach der eigenen Schmach der Niederlage sollten auch die Kroaten scheitern.
Am Geschehen auf dem Fußballfeld läßt sich die politische Landkarte des Balkans ablesen. Als das jugoslawische Team im Vorrundenspiel gegen Deutschland 2:0 in Führung ging, schossen die serbischen Truppen auf die von ihnen belagerte Stadt Junik, die an der Grenze des Kosovos zu Albanien gelegen ist. Die kosovo-albanischen Verteidiger mußten sogar Artilleriegranaten hinnehmen.
Als dann Deutschland das 2:2 schaffte, schossen die Albaner zurück. „Nach dem Ausgleich für Deutschland gab es bei unseren Leuten kein Halten mehr“, berichtete ein Kämpfer der UCK. Albaner fuhren hupend durch die Straßen der Hauptstadt Prishtina, als die Niederlage der Serben im Spiel gegen Holland besiegelt war. Dies war eine Antwort auf die Autokorsos der Vortage, als die Serben noch jubelnd die Straßen der Stadt beherrschten.
In Sarajevo drückten die meisten Muslime die Daumen für die Gegner der Serben. Bis auf einige wenige. Als im Stadtteil Dobrinja, der an der Demarkationslinie zur serbisch kontrollierten Republika Srpska gelegenen ist, ein junger Mann das Tor der Serben gegen die Niederlande bejubelte, wies ihn der Wirt vor die Tür. „In meinem Lokal wird nicht für die Tschetniks gejubelt.“ Die Niederlage der Serben wurde von ihm wie ein Sieg einer bosnischen Mannschaft gefeiert. In der kaum 200 Meter entfernten serbischen Bar jenseits der „Mauer“ dagegen, war die Enttäuschung nach dem kroatischen Sieg gegen Rumänien riesengroß. „Jetzt müssen die Deutschen die Kroaten schlagen.“ „Was, du bist auf einmal für die Deutschen?“ „Wenn ihr die Kroaten schlagt, lade ich dich zum Umtrunk ein.“
Wie wird dieses Spiel im Kosovo gesehen? Ziehen dann Serben und Albaner plötzlich an einem Strang? Ein albanischer Freund aus Prishtina lacht. „Uns ist auch recht, wenn die Kroaten gewinnen. Schließlich haben ein paar Offiziere der UCK in der kroatischen Armee gekämpft. Hauptsache aber ist, daß die Serben draußen sind.“
In Kroatien zitiert man vor dem heutigen Viertelfinalspiel genüßlich den Satz eines brasilianischen Fans: „Die Deutschen mit ihren Stakselbeinen bringen nichts zustande.“ Der Sieg sei also greifbar nahe. Und sowieso auch eine patriotische Pflicht. „Ich möchte gern die Gesichter der Serben sehen, wenn wir im Halbfinale sind“, sagt ein ehemaliger Nachbar aus Split. Und ich das seine, wenn die Kroaten geschlagen sind.
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