: Das lapidare Ende der Old Boys
Nach dem erwarteten Aus im WM-Viertelfinale hat DFB-Trainer Berti Vogts die Auswahl zwischen drei Urlaubsorten: Florida, Frankreich – oder dem Schwarzwald ■ Von Peter Unfried
Lyon/Nizza (taz) – Was soll jetzt überhaupt werden? Und was soll sofort mit Berti Vogts geschehen? Wohin mit ihm? Zunächst nur soviel: „Wir hatten einen Traum“, sagt Vogts, „der Traum ist geplatzt.“ Es nähert sich aber bereits das 21. Jahrhundert, und damit auch schon neue Träume von der EM 2000, der WM-Qualifikation 2002. „Wir werden sehen“, sagt Vogts, „was die Zukunft für uns alle bringt.“
Muß einem vor dieser Zukunft, was das Vorzeigeteam des DFB und damit auch der Bundesrepublik betrifft, wirklich „angst und bange“ werden, wie dem Bundesexperten Günter Netzer?
Die Fakten: Die Deutschen haben im WM-Viertelfinale gegen Kroatien 0:3 verloren. Das war die höchste WM-Niederlage seit 1958. Die Spieldeutung: Nicht nur Berti Vogts glaubt, sein Team habe „bis zum Platzverweis die stärkste Turnierleistung“ gezeigt, eine These, die zwei große Chancen stützen können – jeweils natürlich geschaffen durch Flanken von rechts. „Entscheidend“, sagt Vogts, sei der Platzverweis von Wörns gewesen, entstanden durch eine Ungenauigkeit von Matthäus, resultierend in einer Art Bodycheck des Manndeckers an Šuker.
„Okay“, sagte Vogts in der Nacht von Lyon, und das ehrt ihn, er wolle „die Schuld nicht da suchen“. Nur ständig davon reden, daß Šuker die rote Karte „provoziert“ habe und dergleichem mehr, daß man meinen konnte, es sei eine internationale Verschwörung am laufen. Auch gestern beim letzten Aufwasch in Nizza mochte der womöglich kleinkarierte Kleinenbroicher nichts zurücknehmen.
Weil jedes Spiel mindestens zwei subjektive Wahrheiten hat, ist es ganz interessant, die Sache von der anderen Seite zu betrachten. Dort stand Mario Stanić (26), Profi aus Parma, und tat einiges, den Deutschen mit wirklich existentiellem Einsatz, wie Klinsmann das gerne nennt, „den Schneid“ abzukaufen, unter anderem bei der Vorbereitung des vorentscheidenden 1:0. „Wir haben nicht die Geschichte wie die Deutschen“, sagte Stanić, „aber wir rannten nach jedem Ball wie verrückt.“ Platt? Mag sein, aber jetzt wird es besser: „Vielleicht“, sagte Stanić, „spielten wir wie die Deutschen.“
Die Kroaten taten, was sie konnten: hinten Bierhoff in Doppeldeckung nehmen, vorne den raffinierten Davor Šuker suchen, überall existentiellen Einsatz zeigen. Wie schlecht es um das Spiel der Deutschen bei dieser WM bestellt war, zeigte die Tatsache, daß sie zu zehnt keine Chance hatten, die gefürchteten Tugenden überhaupt zum Einsatz zu bringen. Der Tugendakku war entweder aufgebraucht oder eh nur Schimäre (siehe Tagesthema, Seite 3).
Tatsache ist, daß der Verband, der Trainer und jene Spieler, die seit dem WM-Titel 1990 das Gesicht des Teams prägten, nun am Ende des Jahrzehnts auf globaler Ebene mit zwei Viertelfinalteilnahmen dastehen. Er könne, sagt Vogts, „der Mannschaft überhaupt keinen Vorwurf machen“. Die Viertelfinalteilnahme ist für die Qualität des Teams ein positives Ergebnis. Der Vorwurf kann lauten, daß man nicht gut genug war. Nicht für erfolgreichen und schon gar nicht für aufregenden Fußball. Vogts hat aber auch erst gar nicht versucht, jene „Euphorie“ jenseits einer Plazierung auszulösen.
Die Welt geht jedenfalls nicht unter, auch wenn der Nachwuchs nicht eben bereitsteht. Der Kapitän ist aber schwer deprimiert. Wie kein anderer stand Jürgen Klinsmann (33) für das Prinzip des Teams. Das Aus ist sein Aus.
Vergeblich rannte er auf dem Rasen, versteinert und stumm nach seinem letzten DFB-Spiel durch die Mixed Zone an den alten Kollegen vorbei, die schon wieder Späßchen machten. Klinsmann steht nun für immer für die „Old Boys“ (Vogts), die mediokre Klasse von 1998, wie auch der langjährige Weltklassekeeper Andreas Köpke, der bei seiner ersten WM bloß noch hielt, was zu halten war – und manchmal nicht einmal mehr das. Das ist für beide bitter. Wenigstens, sagte Klinsmann gestern verstört, sei „die Stimmung besser gewesen als 1994“.
Es sei kein Problem aufzuhören, fand dagegen Jürgen Kohler. „In der Niederlage“ liege „auch eine gewisse Größe“. In mancher schon. In dieser auch? „Okay, wir sind ausgeschieden, fertig, aus“, sagte Vogts. So lapidar hat man gespielt, so lapidar ist das Ende.
Seines nicht. Vogts hat gestern mit DFB-Präsident Braun telefoniert und freut sich, alle „beim nächsten Länderspiel wiederzusehen“. Was nun seine nähere Zukunft betrifft: „Ich weiß es noch nicht“, sagt Vogts, „ich weiß es wirklich nicht.“ Drei Urlaubsorte stehen zur Auswahl – Florida, Frankreich oder der Schwarzwald.
Kroatien: Ladić – Štimac – Bilić, Šimić – Stanić, Asanović, Boban, Soldo, Jarni – Šuker, Vlaović (83. Marić), Zuschauer: 41.000
Tore: 0:1 Jarni (45.), 0:2 Vlaović (80.), 0:3 Šuker (85.), Rot: Wörns (40.) wegen Foulspiels
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen