Analyse: Der Dauerbrenner
■ Dolgenbrodt-Prozeß: Die Suche nach der Wahrheit muß weitergehen
Sie sind glimpflich davon gekommen. Der Blumenhändler, der den Brandstifter bezahlt hat; der Heizer, der die Molowtowcocktails baute, sein Sohn, der dabei half; auch der Elektriker, der Geld gab, ebenso der rechte Skinhead, der mitgeholfen haben soll, den Brand zu legen. Die vier erstgenannten haben am Freitag Bewährungsstrafen zwischen 15 Monaten und zwei Jahren bekommen. Das Verfahren gegen den fünften wurde eingestellt. Er sitzt schon wegen einer anderen Sache im Knast. Zerknirscht gaben die Biedermänner zu, am Brandanschlag auf das bezugsfertige Asylbewerberheim in Dolgenbrodt beteiligt gewesen zu sein. Nun also Bewährungsstrafe. Das soll's gewesen sein?
Niemand kam körperlich zu Schaden bei dem Anschlag im November 1992. Sie haben ein Haus in Schutt und Asche legen lassen. Dafür wurde der Brandstifter vor zwei Jahren verurteilt. Damals wollten die Dorfbewohner Silvio J. als „irregeleiteten Alleintäter“ hinstellen. Doch die Staatsanwältin Petra Marx gab keine Ruhe. Sie stellte die Hintermänner von Silvio J., die Biedermänner. Und sie konnte einen Teil der Schweigemauer einreißen, hinter der sich die Dolgenbrodter versteckt hatten. Während der Ermittlungen soll sie tief in die Register von Drohung und Versprechen gegriffen haben, weswegen sie im Prozeß auf der Zeugenbank landete. Außerdem gelang es ihr jetzt, fünf Jahre nach der Tat, die schlampigen Ermittlungen von 1992 zu korrigieren. Damals hatte ein Kollege von ihr lapidar festgestellt, die Anschuldigungen gegen die Dorfbevölkerung hätten nicht erhärtet werden können. Seit Freitag ist das Gegenteil bewiesen.
Trotzdem wird man den Verdacht nicht los, daß es den Dorfbewohnern nicht nur um Ausländerfeindlichkeit ging, sondern um Grundstücke und um Geld. Nach der Wende hatten Bürgermeisterin und Gemeinderat sich selbst und anderen Grundstücke weit unter Wert verkauft. Der verurteilte Blumenhändler bekam 5.000 Quadratmeter für 42.000 Mark. Geschätzter Wert heute: eine Million. Das Land grenzt an das abgebrannte Heim. Damls bangten viele Grundeigentümer um den Verfall der Grundstückspreise, wenn statt der Hotelanlage die Asylbewerber kommen würden. Zwölf ehemalige Gemeinderatsmitglieder haben wegen Grundstückschieberei Strafbefehle erhalten, und etliche Dorfbewohner dürften sich noch vor Gericht verantworten müssen wegen Meineids und Falschaussagen. Mit dabei sind die Frau des Blumenhändlers und die damalige Bürgermeisterin. Gleich morgen steht der Wachschutzmann vor Gericht, der aussagte, das Heim sei rund um die Uhr bewacht worden.
Morgen also Dolgenbrodt III, übermorgen vielleicht Prozeß IV? Man wüßte gerne, was vor sechs Jahren wirklich geschah. Annette Rogalla
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