: Mit Nadeln gegen die weißen Elefanten
Positive Erfahrungen mit Akupunktur bei Alkoholentzug im AK Barmbek ■ Von Lisa Schönemann
Das Echo der Alkoholkranken auf den Vorschlag von Karsten Grünsfelder, es mit Akupunktur zu versuchen, fällt nicht immer positiv aus. „Nö, so'n neumodischen Schiet laß ma' lieber sein“, bekommt der Arzt am Allgemeinen Krankenhaus Barmbek zu hören, wenn er den Mittfünfzigern in der Ambulanz die neue Methode vorstellt. AlkoholikerInnen, bei denen sich ein Delirium anbahnt, reagieren positiver und lassen sich „gern auf etwas Neues ein“. Viele suchen seit Jahren nach einem Weg, ihre Suchtkarriere zu beenden.
Grünsfelder, seit zwölf Jahren Internist am AK Barmbek, hat vor rund zwei Jahren begonnen, PatientInnen, die auf Entzug sind, mit Akupunktur zu behandeln. „Bereits nach zwei Tagen können die PatientInnen die Klinik beschwerdefrei verlassen“, so der Mediziner, der seine Arbeit jüngst auf dem Tagesworkshop „Erfahrungen und Neuerungen in der Behandlung von Alkoholerkrankungen“ vorstellte. Zu der gemeinsamen Veranstaltung vom „Haus der Jugend Jenfeld“, der Drogen- und Suchtberatung „Viva Wandsbek“ und der Rahlstedter StraßensozialarbeiterInnen waren rund 120 Interessierte ins Jenfeld-Haus gekommen.
Nicht nur Helmut Matthei von „Viva“ unterstrich dabei die Notwendigkeit eines niedrigschwelligen Angebotes für Alkoholkranke. Rund 60.000 sind es in der Hansestadt. „Bei der herrschenden sozialen Kälte und der wachsenden psychischen Verelendung wird das unreflektierte Bedürfnis nach Rausch und Ekstase eher zu- als abnehmen“, warnte Matthei.
Wie groß der Erfolg bei einer Akupunkturbehandlung der Entzugssymptome ist, wird zur Zeit in mehreren europäischen Städten untersucht. Ziel ist es, die PatientInnen medikamentenfrei vor dem Delirium zu bewahren, das oft mit Wahnvorstellungen von den gefürchteten kleinen weißen Elefanten und mit einer Bewußtseins-trübung einhergeht. Außerdem leiden AlkoholikerInnen im Prädelirium unter Bluthochdruck, Schlaflosigkeit und Hitzewallungen sowie psychomotischer Unruhe. Bislang werden diese Symptome mit einem Medikament bekämpft, daß nicht nur gefährliche Nebenwirkungen hat sondern auch abhängig macht.
Bei der Akupunkturbehandlung hingegen werden die Nadeln für 30 bis 45 Minuten an zehn verschiedenen Punkten des Ohres angesetzt. Mit den gedrehten, also zusätzlich stimulierten Nadeln lassen sich die Entzugserscheinungen deutlich lindern. Grünsfelder hat bislang 36 PatientInnen im Alter zwischen 29 und 69 Jahren „genadelt“. Die Behandlung wird von den Krankenkassen bezahlt. Die meisten der 30 behandelten Männer und sechs Frauen konnten die Klinik nach 48 Stunden wieder verlassen. Für die „klassische“ Entzugsbehandlung muß dagegen ein stationärer Aufenthalt von fünf bis sieben Tagen veranschlagt werden. Eins ist beiden Methoden gemeinsam: Ohne eine anschließende Therapie hat der erfolgreiche Entzug eine geringe Halbwertszeit.
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