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Patchwork am Festungsgraben

Das globale Dorf als Schnäppchenmarkt: Die Manifesta 2 in Luxemburg ist ein international besetztes Kunstereignis, bei dem aktuelle Diskurse ausgeklammert werden – nur der Betrieb zählt  ■ Von Harald Fricke

Vom Bahnhofsvorplatz aus betrachtet, sieht Luxemburg aus wie jede andere mitteleuropäische Großstadt. Punks und Penner kauern auf einer Parkbank zusammen, der Busbahnhof ist zehnspurig ausgebaut, und am Taxistand warten knapp ein Dutzend Wagen auf Kundschaft. Im Hintergrund ragen vereinzelte Glasbauten in die Höhe, die eigentliche Stadtmitte ist als Fußgängerzone angelegt, und rund um den Marktplatz reihen sich teure Straßencafés. Man kennt diesen Eurocity-Chic von Brüssel, Antwerpen oder Hannover. Wer Mode sucht, findet in einer Seitenstraße den obligatorischen Donna-Karan- oder Sonja- Rykiel-Laden; wer Sex-Shows oder Underground-Parties mag, taucht gleich am Bahnhof ins Viertel der Afrikaner und Araber ab. Das alles wirkt jedenfalls metroprolenhaft gelassen und paßt doch gar nicht zum bescheidenen Lageplan im Reiseführer: Die weitläufig um einen Felsen gebaute Stadt aus dem Mittelalter ist mit ihren 75.000 Bewohnern kleiner als Flensburg.

Vielleicht stellt Luxemburg nur eine Miniaturausgabe all der Veränderungen dar, die in Europa vom Atlantik bis zum Ural hin- und herschwappen. So zumindest sehen es die OrganisatorInnen der Manifesta 2, einer über die gesamte Stadt verteilten Ausstellung mit 47 KünstlerInnen aus 34 Ländern. Vor zwei Jahren zum ersten Mal in Rotterdam veranstaltet, ist die Manifesta eine Art Biennale ohne nationale Vorgaben und ohne lokalen Zuschnitt. Es gibt weder ein übergreifendes Thema noch ein bevorzugtes künstlerisches Genre. Neue Medien sind erwünscht, tagebuchartige Aquarelle auch willkommen. In der Hauptsache soll junge Kunst aus verschiedenen Regionen gezeigt und das betriebsinterne Netzwerk über den Westen hinaus aufgebaut werden. Deshalb war schon bei der Manifesta 1 die Moskauer Kunstszene hervorgehoben worden. Diesmal stammen fast ein Drittel der Beteiligten aus dem ehemaligen Ostblock und dort vorrangig vom Balkan.

Daß man einen solchen Länderschwerpunkt setzen konnte, hat die Manifesta-Leitung George Soros zu verdanken. Der 67jährige Börsenspekulant mit geschätzten 17 Milliarden Dollar Anlagevermögen läßt schon seit Anfang der neunziger Jahre nach ihm benannte Kulturzentren in allen Hauptstädten des ehemaligen Ostblocks einrichten, damit wenigstens die Künste in den Kapitalismus durchstarten können. Offensichtlich mit Erfolg: Parallel zum Kunst-Event bietet die Soros- Foundation vor Ort eine Liste sämtlicher Ost-KuratorInnen als Poster an, und im Casino de Luxembourg kann man sich Web-Seiten von KünstlerInnen aus Ljubljana anschauen (www.ljudmila.org). Überhaupt steht die Manifesta 2 unter der Vorgabe, daß sich im „postkommunistischen Zeitalter“ mit den politischen auch die kulturellen Bedingungen der europäischen Staaten angeglichen haben. „Von Tallinn nach Lissabon über Istanbul findet man dieselben Fernsehsender, ähnliche Schaufenster im Stadtzentrum, dieselben Computer und dieselben Materialien“, heißt es dazu im Katalog.

Für die Kunst folgt aus dieser Entwicklung: Alles ist nomadisch und hybride, sehr persönlich und ziemlich heterogen. Wenn Maurizio Cattelan einen Olivenbaum aus seiner italienischen Heimat auf einem meterhohen Erdkubus ins Museum pflanzt, soll man die Aktion als Zitat der 5.000 Beuys-„Eichen“ lesen und zugleich die Melancholie des Künstlers auf Reisen spüren. Der vormalige Widerstreit zwischen Peripherie und Zentrum hat sich derweil in „Geolokalitäten“ verflüchtigt. In Moskau wird Videokunst produziert, die Spanier kennen sich mit DJ-Culture aus, und Bukarest hat Internet – „im Gegensatz zu den sechziger Jahren muß ein Künstler heute nicht mehr emigrieren, um international zu werden“.

Um zu dieser für Europa nur bedingt gültigen Erkenntnis zu kommen, sind zwei Kuratorinnen und ein Kurator (Barbara Vanderlinden aus Brüssel, Maria Lind aus Stockholm und Robert Fleck aus Wien) zehn Monate lang durch ebendieses Europa gejettet. KünstlerInnen aus Asien oder arabischen Ländern, die bei der ersten Manifesta eingeladen waren, kommen in ihrem Mix nicht vor, und auch die Stadt dient bloß als Kulisse fürs sommerliche Kunstereignis. Dabei wäre es interessant gewesen, etwas über die europäische Handelskapitale Luxemburg zu erfahren und wie man hier außerhalb der Manifesta-Zeiten mit moderner Kunst umgeht: Immerhin besitzt das kleine Land mit Edward Steichens Fotosammlung zur legendären „Family of Man“-Show ein erstaunliches Bildarchiv aus der Zeit des kalten Krieges.

Mit solchen ortsspezifischen Themen beschäftigen sich weder Kunst noch Katalog. Andererseits hätte ein Blick in die ausliegenden Tourismusführer genügt, um sich darüber zu informieren, daß mehr als 33 Prozent der Bevölkerung nicht aus Luxemburg stammen. Spiegelt sich dieses Verhältnis im kulturellen Leben wider? Wer weiß. Der einzige Künstler, dem ein paar Ungereimtheiten in der Stadt auffielen, ist der in Frankfurt am Main lebende Sean Snyder. Sein Faltblatt schlägt den Bogen zwischen Gibraltar, Migration und den Festungsanlagen von Luxemburg. Es bleibt die einzige, zudem recht vage Recherche aus dem weiten Feld der cultural studies.

Der Ehrgeiz der drei AusstellungsmacherInnen ging dagegen eher in der Sichtung von Trends auf. Die dekorativ gestaltete Nintendo-Galerie von Michel Majerus aus Berlin ist jetzt ein Beleg für die neue Hinwendung zu „expansiver Malerei“. Weil die Österreicherin Elke Krystufek auf ihren unerbittlichen Selbstportraits nicht unterscheiden mag zwischen dem Inneren ihrer Vagina, Urlaubsreisen mit Mama und Papa und überhaupt der ganzen schmollippigen Teenagerzeit, hat man ihre hervorragenden Schizo-Studien dem wilden Feminismus der späten Nineties zugeschlagen. Der Slowake Boris Ondreička recycelt Nazi- Utensilien zu nostalgischem Hardcore-Punk, gleich nebenan arbeitet der Brite Richard Wright mit feingliedrigen Psychedelic-Zeichnungen, danach gibt es bei der Spanierin Dora Garcia noch das übliche Raver-Ambiente. Allzu lange hält man es ohnehin nicht in der Autowerkstatt aus, die eine der fünf Locations der Manifesta bildet: Der Wiener Akustik-Tüftler Franz Pomassl hat das Gebäude bei Stadionlautstärke mit 23 Hertz beschallt. Man hört zwar keinen Wall of Sound, dafür schlägt einem die dröhnende Vibration der Wände unappetitlich auf den Magen.

Trash hin, Techno her, Manifesta 2 bleibt ein Bekenntnis zum Stückwerk. Am Ende kann das KuratorInnen-Team nur konstatieren, „daß die heutige Situation der vor zwanzig Jahren ungeheuer ähnelt“. Wie damals lassen sich derzeit Strömungen auf keinen gemeinsamen Nenner bringen – ein Revival der Mikropolitik? Jeder Minderheit ihr kleines Patchwork? Auf der letztjährigen documenta hatte Catherine David bereits eine ähnliche Richtung eingeschlagen und mit Künstlern wie Mike Kelley, Jeff Wall oder Hans Haacke haltungsstarke Protagonisten der späten siebziger Jahre ausgewählt. Davids Kritik an der Manifesta war entsprechend scharf: Statt sich mit Problemen – Neoliberalismus! Deregulierung! Spaßgesellschaft! – auseinanderzusetzen, hätten die Ausstellungsmacher bloß ihren „Einkaufswagen“ auf den neuen Märkten im Osten mit Schnäppchen vollgeladen.

Tatsächlich hat die jüngere Generation in Luxemburg den Konzeptualisten alter Schule, die letztes Jahr in Kassel so massiv auftraten, nicht viel hinzuzufügen. Als Schlüsselfigur der Manifesta haben sich Fleck, Lind und Vanderlinden auf den 1996 verstorbenen Felix Gonzalez-Torres geeinigt, dessen Lichtgirlanden draußen vor dem Casino darauf verweisen sollen, wie subtil der künstlerische Eingriff in den öffentlichen Raum aussehen kann. Zwei Straßen weiter wird dieses Konzept jedoch über den Haufen geworfen: Die gurkenförmigen Apparate von Krištof Kintera (Prag), die in einem Haushaltswarengeschäft ausliegen, sind ein bißchen pornografisch und ansonsten belanglos; und auch die für ein Kaufhaus arrangierte schwule Schaufensterpuppengruppe von Inessa Josing aus Tallinn beweist, daß sich sexuelle Befreiungsbotschaften und die Kritik an der Warenwelt bis zur Unkenntlichkeit ergänzen – wer interessiert sich schon für ausgestopfte Herrenunterhosen?

Die Reihe der unentschlossenen und daher verschenkten Möglichkeiten im Stadtraum läßt sich fortsetzen: Der Leipziger Thilo Schulz hat wunderliche Satzfetzen auf diverse Glasfronten gedruckt, die ein bißchen nach Dada und HipHop klingen; von Tobias Rehberger stammt ein formschön abstraktes Blumen- und Gemüsebeet am innerstädtischen Verkehrsring. Der Bulgare Dr. Galentin Gatev läßt in einem Parkhaus eine Priester-Marionette auf einem Motorrad kreisen, weil die Popen bei ihm zu Hause ihre verstreute Gemeinde wegen der schlechten Transportmittel nicht mehr erreichen können. Das also sind die Mangelerscheinungen, die das alltägliche Leben „in einem postkommunistischen Land“ reflektieren, wie der Katalog unermüdlich betont. Als Alternative zur frommen Figurenschnitzerei kann man bei Bert Theis im Shuttle-Bus von Luxemburg nach Trier zum Geburtshaus von Karl Marx fahren, weil Manifesta so ähnlich wie Manifest klingt und Kunst ja bekanntermaßen Kapital darstellt.

Vollends in Sightseeing-Kitsch kippt eine Arbeit des documenta- Teilnehmers Marko Peljhan um. Der slowenische Netzkünstler hat im historischen Stadtmuseum ein computergestütztes Kriegsspiel installiert. Wer das richtige Codewort für „Operation East Sundown“ eingibt, kann auf dem Monitor einem Kampfeinsatz über Luxemburg vom simulierten Cockpit aus folgen, das Fadenkreuz immer direkt auf Höhe der Sehenswürdigkeiten. Theoretische Munition hat sich Peljhan für sein einfältiges Manöver in Sachen Institutionskritik ausgerechnet bei Guy Debords Analyse zur „Gesellschaft des Spektakels“ geholt.

Der faszinierendste Beitrag der Manifesta bleibt indessen von der planlosen Gemengelage aus Kulturindustrie und Gegenöffentlichkeit völlig unberührt. Pierre Huyghes „Sleeptalking“ besteht aus dem Zusammenspiel zweier minimalistischer Arbeiten. Im einen Raum läuft ein Interview, das der Franzose mit John Giorno geführt hat. Der Beat-Autor erklärt in langen, angenehm sonor brummenden Monologen, daß Burroughs nichts mit Andy Warhol anfangen konnte und warum sich Homosexualität als Motor der Popkultur bis in die Studentenbewegung ausgewirkt hat. Durch eine Scheibe kann man währenddessen dem jungen Giorno nebenan in Warhols „Sleep“-Film von 1963 beim Schlafen zuschauen. Irgendwann entsteht der Eindruck, als würde der ältere Mann seinen Text aus den Träumen von einst herüberholen. Manchmal blicken aber auch ein paar Besucher sehr verwirrt aus dem Filmvorführraum zurück, weil sie dachten, daß die Trennscheibe aus Spiegelglas ist. Der Irrtum macht auf beiden Seiten Spaß. Es ist diese Balance aus Zufall und Methode, die der Manifesta sonst fehlt. Dort ist das Vergnügen meist auf Seiten der KuratorInnen. Immerhin hat der Kunstbetrieb damit bis zum Herbst sein Thema. Dann startet die nächste Biennale, diesmal in Berlin.

Manifesta 2, bis 11.10. Luxemburg. Katalog: 40 Mark.

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