: Wahlkampf: Endstation Arbeitsamt
■ Trotz Rückgang der Arbeitslosenzahlen keine nachhaltige Wende / Stimmung unter Jobsuchenden wird immer brutaler
Eine nachhaltige Wende auf dem Arbeitsmarkt Bremen ist nicht in Sicht. Das sagt Bremens Arbeitsamts-Sprecher Jörg Nowag: „Die aktuellen Zahlen sind sehr mit Vorsicht zu genießen – entgegen der Aussagen aus der Politik.“ In Bonn feiert die Regierungskoalition derzeit den leichten Rückgang der Arbeitslosenquote als Wende. Opposition und Gewerkschaften warnen vor einem wahlkampfgesteuerten Jobwunder.
Im Land Bremen sank die Zahl der arbeitslos gemeldeten Personen auf 45.129 und eine Quote von 16,2 Prozent. Bremerhaven stellt 10.700 Arbeitslose (20,7 Prozent). Auch in Bremen selbst ist die Anzahl der arbeitlos Gemeldeten im Juni auf 38.912 Personen gesunken – der niedrigste Stand seit Oktober 1996. Das entspricht einer Quote von 14,3 Prozent, 0,2 Prozentpunkte weniger als im Mai. Laut Arbeitsmarktbericht liegt dies an saisonalen Einflüssen und steigender Nachfrage im Dienstleistungsbereich. „Daneben hatte der Beginn von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für 400 Personen einen zusätzlichen Entlastungseffekt.“
Doch genau daran erregen sich die Gemüter. Helga Ziegert, Bremens DGB-Chefin, befürchtet einen Wahlkampf auf Kosten der Arbeitslosen. „Jetzt werden noch schnell ABM-Stellen finanziert, um die Quote zur Wahl hin zu drücken. Und danach fallen wir dann wie schon 1994 in ein großes Loch mit Rekordarbeitslosigkeit.“
So interpretiert auch das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung die angebliche Wende in einem Bericht: „Doch nach dem August 1995 folgte ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf stets neue ... Rekordhöhen. Jetzt auf deutlich gehobenem Niveau, wiederholt sich das Szenario des Wahljahres 1994.“ Bis zum Jahr 2002 prognostiziert das Institut Arbeitslosenzahlen von bis zu 5,3 Millionen, wenn sich die Wende 1998 wieder als genauso „nachhaltig“ erweise wie 1994.
Das wiederum läßt Rückschlüsse auf Bremen zu. Sollten sich die bundesweiten Arbeitsmarktdaten tatsächlich weiter derart erhöhen, wäre in Bremen mit einem Anstieg der Zahlen bis zum Jahr 2002 auf mehr als 50.000 Personen zu rechnen. Das entspräche einer Quote in Bremen von 18,4 Prozent und in Bremerhaven von 25,9 Prozent.
Davon will man im Arbeitsamt aber nichts wissen. „Zumal in Bremen kein klarer Eingriff der Bonner Regierung vorliegt, um die Zahlen zu beschönigen“, so Nowag. Man habe nur 1,2 Millionen Mark Sachmittel erhalten.
Feinheiten, um die sich die meisten Arbeitssuchenden im Arbeitsamt nicht einen Deut scheren. Klaus S. steht mit einem furchteinflößenden Kampfhund direkt vor der Pforte: „Wenn die nicht bald richtig Jobs schaffen, hetze ich denen meinen Hund auf den Hals.“ Zwei andere Männer laufen durch die Eingangshalle: „Wenn ich wieder eine Absage kriege, ziehe ich den Typen über den Tisch.“ Das Klima im Arbeitsamt wird immer gereizter – ungeachtet der Kommentare aus Bonn. „Die müssen den Dreck ja auch nicht ausbaden“, sagt Klaus S. und streichelt seinen Hund. Jens Tittmann
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