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Gymnasien ab der fünften Klasse sind kein Allheilmittel

■ Pädagogen halten nicht den Zeitpunkt des Schulwechsels, sondern den sanften Übergang für wichtig. Lehrpläne für 5. und 6. Klassen sind an Gymnasien und Grundschulen ohnehin gleich

Welche Grundschule ist die beste? Sechs Jahre oder vier? Entwickelt sich das Gymnasium zur elitären Einrichtung für Akademikerkinder? Die Debatte, wann Grundschüler auf eine weiterführende Schule wechseln sollen, hat sich zu einem Grundsatzstreit ausgeweitet.

Peter Heyer vom Grundschulverband befürchtet, daß sich Gymnasien zunehmend unter Druck gesetzt fühlen, eine 5. und 6. Klasse einzurichten. „Die haben Angst, sonst zweitklassig zu werden“, so Heyer. Den Gymnasien gehe es um Bestandsschutz, ihre Lehrerstellen und den Wunsch, die besten Schüler zu bekommen. Den nicht grundständigen Gymnasien verblieben dann nur noch die schwächeren Schüler.

Heyer hält das für die falsche Richtung. Studienräte seien in Berlin für die Klassen fünf und sechs gar nicht ausgebildet. Die Folgen seien teilweise erschreckend: Fachunterricht der siebten Klasse werde für die Fünftklässler einfach „heruntergezogen“, die Methodik gehe völlig an den Kindern vorbei. Den SchülerInnen müßten soziale Kompetenz, Selbstbewußtsein und die Fähigkeit zum Lernen generell beigebracht werden. Dafür seien Grundschullehrer ausgebildet.

Entwicklungspsychologische Studien hätten zudem ergeben, daß Kinder nach vier Jahren Schule einen Tiefpunkt ihres Selbstwertgefühls erreichten, wenn sie dann aufs Gymnasium wechseln müßten. Denn dort, so Heyer, erzählten die Lehrer erst einmal, daß alles bisher Spielerei gewesen sei und jetzt der Ernst des Lebens beginne. In Norwegen dagegen, wo die Grundschule neun Jahre dauert, steige die Kurve des Selbstwertgefühls stetig an.

Solchen Studien steht der Berliner Landesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Jobst Werner, skeptisch gegenüber. Wichtiger als die Strukturen sind für ihn die Inhalte. Wenn schon die Grundschule in der fünften und sechsten Klasse in bestimmten Fächern nach Leistung differenziere, käme das einer Orientierungsstufe nahe, wie sie andere Bundesländer hätten. Schließlich sei der Lehrplan von Gymnasien und Grundschulen in diesen Klassen der gleiche. Werner, dessen Verband die Gymnasiallehrer vertritt, hat nichts gegen Gymnasien ab der fünften Klasse, „ein Allheilmittel ist das aber nicht“. Wichtig sei, den Kindern einen Übergang zu gewähren, währenddessen sie in der vertrauten Umgebung, also der Grundschule, bleiben könnten.

Professor Elmar Tenorth, Erziehungswissenschaftler an der Humboldt-Universität, betont, daß es überhaupt keinen idealen Zeitpunkt für den Wechsel auf weiterführende Schulen gebe, das sei bei jedem Kind verschieden. Trotz sechsjähriger Grundschule gebe es außerdem immer noch zu viele Rücküberweisungen vom Gymnasium zur Realschule und von der Real- zur Hauptschule. Mit ihrer Prognose für die Laufbahn des Kindes lägen Eltern und Lehrer also dennoch oft falsch. Wichtig sei, daß es differenzierte und integrierte Schulformen nebeneinander gebe und die Eltern wählen könnten, sagt Tenorth. „Ich denke, zur Zeit wird an der falschen Front diskutiert.“ Jutta Wagemann

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