: Romantik kennt keine Fahrpläne
Wenn die Liebe selbst einen Kursbuchpedanten nachlässig macht, geht es nicht ohne Umwege, freundliche Geldschmuggler, besoffene Finnen und natürlich die begehrte schöne Frau: Peter Lichtefelds angenehm reduziertes Roadmovie „Zugvögel ... einmal nach Inari“ ■ Von Christian Buß
Im Zug wird der Reisende zum Kinobesucher, während der Kinobesucher nach Erlöschen des Saallichts zum Reisenden wird. Und wer als Kind allzu gebannt auf die rasenden Bilder vor dem Abteilfenster starrt, wird später Cineast.
Diese Wechselwirkungen zwischen Bahnfahren und Kinobesuch sind es, die die Geschichte von Peter Lichtefelds Langfilm- Debüt „Zugvögel ... einmal nach Inari“ in Bewegung bringen. In eine angenehm reduzierte Bewegung: Die Kamera verharrt ruhig in der Nahaufnahme vor den Reisenden, während im Hintergrund Bäume und Häuser vorbeifliegen.
Zwar rumpeln hier statt der Motoren die Gleise, trotzdem ist „Zugvögel ... einmal nach Inari“ ein Roadmovie. Eine der wichtigsten Maximen des Genres lautet schließlich: Bewege deine Figuren soviel wie möglich durch Zeit und Raum, aber lasse sie geistig nicht vom Fleck kommen! Daran hält sich auch Peter Lichtefeld, der kameratechnisch minimalistisch verfährt, während seine Helden durch halb Europa rattern. Am Ende immerhin taucht die Liebe auf, und wie die Figuren sich aus ihrer mentalen Starre befreien, so entledigt sich die Kamera ihrer Fesseln.
Doch der Reihe nach. Bleiben wir im Fahrplan, denn darum geht es in diesem Film: Hannes (Joachim Król) ist Kursbuchexperte. Wenn er seinen Job als Bierfahrer erledigt hat, sitzt in seiner Wohnung vor einer großen Bahnhofsuhr und lernt Fahrpläne aus aller Welt auswendig. Privat läuft nichts, dafür kann der Typ aus dem Stand die schnellste Route zu den obskursten Städten runterbeten. Sein Traum: Einmal nach Inari, um in dem nordfinnischen Örtchen am 1. Internationalen Wettbewerb für Kursbuchleser teilzunehmen.
Dafür braucht er eine Woche Extraurlaub, die ihm der perfide Personalchef nicht bewilligt. Also gibt er ihm eins auf die Nase. Als der Boß wenig später ermordet aufgefunden wird, gerät Hannes in Verdacht, aber da tuckert er schon nach Inari, trifft freundliche Geldschmuggler, besoffene Finnen und was sich sonst noch so in Schlafwagenabteilen rumtreibt. Natürlich auch eine schöne Frau. Derweil versetzt sich Kommissar Franck (Peter Lohmeyer) in den vermeintlichen Mörder, studiert Fahrpläne und beschließt, ihm auf der Route zu folgen, die Hannes selbst gewählt hätte: der kürzesten. Doch die Liebe macht selbst den Kursbuchpedanten nachlässig, der für die Frau einen Umweg nimmt. Als er in Inari ankommt, nimmt ihn der Kommissar schon in Empfang.
Die Romantik kennt keine Fahrpläne, und Romantik ist es, was dieser Film will. Sentiment und Nostalgie verbreitet Peter Lichtefeld, der sich auch schon mal den einen oder anderen brachial- gefühligen finnischen Tango von Aki Kaurismäki borgt – genauso wie eine Reihe einschlägig bekannter Schauspieler, die traurig in ihre Schnapsgläser schauen oder kannenweise Kaffee in sich hineinschütten. Outi Mäenpää zum Beispiel, die den lebensscheuen Hannes aufs richtige Gleis lenkt.
Auch Kaurismäkis ewig trüber Blick auf die Welt hat in der Kolorierung Spuren hinterlassen; es gibt reichlich Grün und Braun, aber kaum echtes Blau oder Rot. Und die emotionelle Rhetorik der Kamera, die sich am Schluß jubilierend um die eigene Achse dreht, erinnert an Fassbinder (respektive Michael Ballhaus). Klar, „Zugvögel ... einmal nach Inari“ ist ein Relikt: ein europäischer Autorenfilm. Und deshalb bewegen sich die Menschen darin auch noch über die Vogelfluglinie von der Insel Fehmarn nach Schweden, obwohl man mit dem Auto inzwischen schneller und billiger nach Skandinavien kommt. Das ist kein Film von dieser Welt, Eschede jedenfalls kommt nicht drin vor. Was ja auch sein Gutes hat, denn Entgleisungen gibt es nur in der Welt der Hochgeschwindigkeitszüge.
„Zugvögel ... Einmal nach Inari“. Buch und Regie: Peter Lichtefeld. Mit Joachim Król, Outi Mäenpää, Peter Lohmeyer, D 1997, 87 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen