Osteuropa unterm ungelüfteten Glasdach

Das Tor zur Hafen-City: StudentInnen von drei Hamburger Hochschulen basteln an der ökologischen Bebauung der Ericusspitze am Rand der Speicherstadt  ■ Von Heike Haarhoff

Ein geschickter Handgriff, und die beiden 15stöckigen Gebäuderiegel aus Pappe sind in das starre Modell aus Holz plaziert. „Das hier“, die Finger der Architekturstudentin Sandra zeigen auf das Fleckchen, wo die Pappbauten sich nun erheben, „ist die Ericusspitze am Rand der Speicherstadt. Hier gegenüber“, der Finger wandert nach Norden, „die Elbe, die Kunstmeile, der Hauptbahnhof.“

Jörg Asmussen, Experte für ökologisches Bauen, nickt. Nur die Sache mit dem vergitterten Glasatrium, das Sandra zwischen den beiden Gebäuden vorgesehen hat, will sich ihm nicht erschließen: „Lüftungsklappen, du brauchst Lüftungsklappen“, mahnt er. Denn der verglaste Innenhof, der sich im Winter durch die durchscheinende Sonne aufwärmen und die wohligen Temperaturen in die angrenzenden Räume weiterleiten soll, würde im Sommer ohne Lüftungsklappen zur brütenden Hitzefalle.

Sandra rätselt noch, wie sie die Idee am besten umsetzt, da wendet sich Asmussen, im normalen Berufsleben bei der HEW-Tochter contract für Öko-Bau zuständig, schon einem anderen Team zu. Angestrengte Gesichter starren auf eine Grundrißskizze – Wachsmalstifte im Mund, Lineale in der Hand, zerraufte Haare: Bloß nicht zu tiefe Räume bauen, rät Asmussen, sonst reicht das natürliche Tageslicht niemals zur Beleuchtung.

So ging das die ganze vergangene Woche lang: 30 ArchitekturstudentInnen von der Hochschule für bildende Künste (HFbK), der Technischen Universität Harburg und der Fachhochschule Hamburg organisierten – Konkurrenz der Hochschulen hin oder her – einen gemeinsamen studentischen Workshop zur Bebauung der Grundstücksbrache „Ericusspitze“ am Rand der Speicherstadt – unter ökologischen Aspekten und Einbeziehung des lokalen Unternehmertums in Form der HEW. Heute ab 14 Uhr werden die studentischen Entwürfe in der Aulavorhalle der HfbK am Lerchenfeld 2 öffentlich präsentiert.

„Die Ericusspitze wird künftig das Tor zur Hafen-City sein“, erklärt Tobias Jaekel, Mitinitiator des Workshops, die städtebauliche Bedeutung des Grundstücks. Der Name „Ericus“ erinnert an die gleichnamige Bastion, die Anfang des 17. Jahrhunderts Teil der Befestigungsanlagen am Hamburger Wallring war. Später, Anfang des 19. Jahrhunderts, wurden auf der Ericusspitze, dieser von der Elbe umschlossenen Inselspitze, feuergefährliche Güter wie Pech, Terpentin und Schwefel gelagert.

Mit dem Bau der Speicherstadt ab 1883 verschwanden die letzten Reste der Befestigungen, für die geplante Neubebauung der Ericusspitze aber fehlte aufgrund des Ersten Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise in den 20er Jahren das Geld. Bis heute liegt das Gelände weitgehend brach – auch ein Wettbewerb für ein Bürogebäude aus dem Jahr 1990 wurde nie realisiert.

Wegen seiner „exponierten Lage“ aber, ist sich Jaekel sicher, wird Hamburg im Zuge der Hafen-City-Planung die städtische Ericusspitze „für eine besondere Nutzung veräußern“ – Grund genug für die angehenden ArchitektInnen, sich mit diesem Projekt auseinanderzusetzen. Daß umweltfreundliche Baumaterialien und vor allem Solarenergietechniken eingesetzt werden sollen, ist für die Studierenden klar, seit sie im vergangenen Sommer eine Exkursion „zu ökologischer Architektur in Süddeutschland“ unternahmen – und dort den engagierten Tübinger Architekten und Öko-Bau-Experten Dieter Schempp vom Büro LogID kennenlernten, der nun das Hamburger Projekt leitet.

Sandra steht immer noch vor ihrem Modell und sinniert, „wie man in diesen sumpfigen Boden wohl eine Tiefgarage baut“. Die künftige Gebäude-Nutzung dagegen ist allen TeilnehmerInnen klar: „Ein Osteuropa-Zentrum soll es werden“, sagt Sandras Kollege Malte, „darauf hatten wir uns schon vorher geeinigt.“ Denn obwohl der Hamburger Hafen „traditionell von großer Bedeutung für Osteuropa“ sei, kämen die osteuropäischen Länder „in der öffentlichen Hamburger Meinung schlicht nicht vor“. Die schlechte Wahrnehmung könne mittels eines osteuropäischen Zentrums mit Verkaufs- und Ausstellungsräumen, Büros, Tagungsräumen, Kino, Bühnen, Hotel und Service-Bereich (Übersetzer, Rechtshilfe, Sprachschule) verändert werden, glaubt Student Rolf Kellner. Doch egal, ob einer der zahlreichen studentischen Entwürfe für die Ericusspitze einmal realisiert wird – was zählt, ist die Lernerfahrung: „Im Unterschied zu den meisten Entwurfsarbeiten in Hamburg sind hier bereits in einem sehr frühen Stadium Klima-Ingenieure in die Planung einbezogen worden.“