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"Das Trauma ist wieder da"

■ Husein D. war unter den rund 100 bosnischen Kriegsflüchtlingen, die verhaftet wurden und abgeschoben werden sollen - trotz seines Traumas. Die Abschiebung konnte jedoch verhindert werden

Husein D. ist einer der etwa hundert bosnischen Kriegsflüchtlinge, die gestern verhaftet wurden, um sie abzuschieben. Weil er durch einen Lageraufenthalt traumatisiert ist, konnte das Südost-Zentrum, das bosnische Flüchtlinge betreut, D.s Abschiebung verhindern. Die taz sprach mit ihm und Bosilkja Schedlich vom Südost-Zentrums.

taz: Herr D., wie ist Ihre Festnahme abgelaufen?

Husein D.: Vorgestern früh um halb sechs kamen vier Polizeiautos mit 20 Uniformierten und zwei Polizeibeamten in Zivil zu unserem Wohnheim in Tempelhof. Sie klopften an unsere Tür, sagten, wir müßten sofort einpacken, die Kinder wecken und mitkommen.

Sie haben der Polizei Ihre Papiere gezeigt, was für welche?

D.: Ich habe eine Duldung bis zum 4. September, ein Attest von einem Neuropsychiater, bei dem ich seit 1993 in Behandlung bin und auch eine Bescheinigung, daß ich Mitglied der Lagergruppe im Südost-Zentrum bin.

Bosilkja Schedlich: Bisher hat die Ausländerbehörde Menschen, die ausgewiesen werden sollen, aufgefordert, sich zum Ausweisungstermin selbst zu melden oder freiwillig auszureisen. Diese Frist wurde jetzt zum ersten Mal verwehrt.

Herr D., wohin brachte die Polizei Sie und Ihre Familie?

D.: Sie brachten uns in ein Gefängnis am Flughafen Tempelhof. Dort wurden wir in einen kleinen Raum zusammen mit 20 bis 30 anderen geschlossen. Zwei bis drei Stunden verbrachten wir dort, dann wurden wir in eine Zelle gebracht. Auf den Gängen waren viele Menschen, viele der Männer trugen Handschellen. Bis zum Nachmittag hielten sie uns dort fest.

Schedlich: In diesem kleinen Zimmer gab es kein Fenster, es war ganz heiß, die Kinder schrien. Es gab nur eine schmale Bank an der Wand, die anderen mußten stehen. Solche Situationen haben die Menschen erlebt, die im Lager interniert waren, wo etliche später umgebracht wurden. Das bedeutet für die Betroffenen eine ganz schwere Retraumatisierung.

Wie kam es, daß die Polizei Sie wieder rausgelassen hat?

D.: Ich bekam einen Termin bei der Ausländerbehörde.

Schedlich: Als wir erfahren haben, daß Herr D. verhaftet worden ist, haben wir mit Hilfe der Ausländerbeauftragten Frau John interveniert, weil er durch seinen Aufenthalt im Lager traumatisiert ist. Die Innenbehörde hat argumentiert, daß er noch nicht auf der Liste der Traumatisierten steht. Aber das notwendige Attest dafür hatte er bereits in der Tasche.

Wie haben andere Flüchtlinge reagiert?

D.: Im Wohnheim waren alle Menschen wach, sie hatten alle große Angst. Aber die Polizei hat nur uns mitgenommen.

Schedlich: Wir haben gestern mit 60 Männern aus unserer Lagergruppe gesprochen, da war die Angst vor Festnahmen und Abschiebung das einzige Thema. Das große Trauma ist wieder gegenwärtig. So wird in einem Tag unsere Arbeit zunichte gemacht. Interview: Sabine am Orde

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