: 17 Stunden bis zur Unabhängigkeit
Als Punk unter Saubermännern: In einem Tagebuch von einer Tournee durch die US-Staaten Kalifornien, Oregon und Washington berichtet der Musiker und taz-Autor ■ Lars Reppesgard
Oakland, Kalifornien, 25. Juni 1998
Dumpfes Dröhnen dringt aus einem Lagerhaus in einem Gewerbegebiet nahe des heruntergekommenen Hafens von Oakland. Doch schon auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist von dem Punkkonzert kaum etwas zu hören, denn der Lärm des Highway 880 übertönt die Musik. Der Strom der Fahrzeuge, die um acht Uhr abends über die Betonpiste in 20 Meter Höhe in Richtung Süden rasen, reißt nicht ab.
lm Schatten der riesigen Betonträger hängt vor dem Lagerhaus ein Haufen bunthaariger Gestalten herum. Kaum einer beachtet den Polizeihubschrauber, der regelmäßig seine Runden über dem Lagerhaus dreht. Ein paar Punks nippen verstohlen aus roten Plastikbechern, bis sie ein nervöser Türsteher in den Laden scheucht. Alkohol auf der Straße zu trinken, ist im Land der unbegrenzten Möglichkeiten verboten. Und die Polizisten in den zwei Streifenwagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die ihren Kollegen im Hubschrauber dabei helfen, die Veranstaltung im Auge zu behalten, können für einen öffentlich genommenen Schluck aus der Pulle saftige Geldstrafen verhängen.
Durch B.O.B. sind wir in die USA gekommen. B.O.B. steht für „Bremen, Oakland and Bath“, die drei Bausteine einer erstaunlichen Städtepartnerschaft. Jedes Jahr treffen sich Punker aus der kalifornischen Hafenstadt Oakland, dem südenglischen Bath und der Hansestadt Bremen zum gemeinsamen Feiern. Nach Bath und Bremen ist in diesem Jahr Oakland dran, eine Stadt mit 360.000 EinwohnerInnen an der San Francisco Bay. Mit Korrupt, Nebenwirkung und ASE sind drei Bands über den großen Teich gereist und jetzt im Lagerhaus angekommen.
Das Innere haben die Oaklander B.O.B.-Veranstalter liebevoll mit Flyern, Metall-Gestellen und ausrangierten Sofas bestückt. 200 Punkrocker drängeln sich um die niedrige Bühne. Wer Bremer und wer Brite ist, kann man auf den ersten Blick nicht sagen. Fest steht aber: Die mit den vielen Tätowierungen sind die Kalifornier. Denn Stammessymbole und Totenschädel aus der Tintenpistole sind an der Westküste nur halb so teuer wie in Europa, und die Tätowierer gelten als die Besten der Welt.
Die Veranstalter sind nervös. Eigentlich dürfen nur die über 21jährigen am Eingang den begehrten roten Stempel auf die Hand bekommen. Nur mit diesem Stempel gibt es an der Bar das Bier aus den großen Michelob-Metallfässern. Und trotz aller anarchistischen Ansprüche muß ein Veranstalter eigentlich darauf achten, daß keine Minderjährigen trinken. Falls die Beamten bei einer Ausweiskontrolle alkoholisierte Jugendliche entdecken, löst die Polizei die Veranstaltung auf. Die saftigen Geldstrafen kann sich keiner der Veranstalter leisten. Und die Leute, die im Obergeschoß des ausrangierten Lagerhauses wohnen, riskieren als Gastgeber so einer Veranstaltung sogar ihr Dach über dem Kopf.
Sorgen bereiten Veranstalter James nicht die Gäste aus Übersee. Alle ASE-Mitglieder und der Rest der angereisten Bremer sind über 21. Die sind höchstens über die chemischen Zusatzstoffe in den dünnen, in der Regel mit Reis und allerhand E-Nummern versetzten US-Bieren beängstigt.
„Aber die Leute aus Oakland machen mir Sorgen“, sagt James. Denn den Ami-Kids scheinen die Veranstaltersorgen und die US-Jugendschutzgesetze herzlich egal zu sein. Weil sie an der Bar nichts bekommen, nippen sie an mitgebrachten Whiskyflaschen, die in braune Papiertüten gehüllt sind.
Vier Bands bestreiten am ersten B.O.B.-Musikabend das Programm: Zwei aus Oakland, eine aus Bath und ASE als erste Bremer Band. Das hanseatische Konzertdebüt dauert allerdings ganze 20 Minuten. Dann hastet ein Veranstalter auf die Buhne, denn um elf Uhr muß Schluß sein. „The Police, you know ...“ Höflich, still und leise räumen wir unsere Sachen von der Bühne. In jedem deutschen Freizeitheim würden wir solche Sperrstunden-Hinweise mit weiteren Kostproben unseres Gedröhnes beantworten.
Aber angesichts der Sorgenfalten der B.O.B.-Punks aus Oakland verkneifen wir uns das akustische Rebellentum. Eine richtige Entscheidung, denn als am nächsten Tag Korrupt und ein paar andere Bands spielen, endet der Abend für eine Veranstalterin im Gefängnis. Sie hatte zwei Polizisten, die in den Konzertraum wollten, nach der Dienstnummer gefragt. Schon das war zu viel Aufsässigkeit für das Oakland Police Department. „So etwas passiert halt manchmal. Meist greifen sie sich einfach den oder diejenige, die am nächsten steht“, sagt Karyn aus Oakland.
Die Instrumente kommen in den Kofferraum des Leihwagens, und wir düsen los – erleichtert, in dieser Umgebung nur spielen, aber nicht wohnen oder die Verantwortung für den Vollrausch von irgendwelchen Teenagern übernehmen zu müssen.
San Jose, Kalifornien, 1. Juli 1998
Nach einer Woche Bay-Area-Urlaub geht endlich das Reisen los. Mauz von der Band Dystopia hat uns und Korrupt beim Buchen der Konzerte geholfen – unentgeltlich natürlich, so wie andere für Oaklands Dystopia Konzerte in Europa organisiert haben. San Jose liegt für amerikanische Verhältnisse um die Ecke, eine Stunde südlich von Oakland. Wie viele Meilen es sind, weiß keiner der Oakland-Punks. Entfernungen werden immer in Fahrstunden angegeben. Die kalifornische Metropole liegt am Ende des Silicon-Valley. Der Highway führt an den riesigen Hochhäusern von Software-Giganten wie Adobe oder Sun Microsystems vorbei.
Inmitten der Amüsiermeile der 800.000-Einwohnerstadt San Jose liegt der Cactus-Club – eine ganz normale Bar, die die Leute vor Ort angemietet haben. Jugendfreizeitheime gibt es schließlich in den USA nicht. Jede Band muß ihr eigenes Bier an der Bar kaufen. Schließlich verkauft das kleine Geschäft an der Straßenecke keinen Alkohol, denn die farbigen Inhaber gehören zur Nation Of Islam.
Wenigstens darf man aber auf der Straße vor dem Club rumhängen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Der öffentliche Raum in den Städten ist weitgehend privatisiert und kommerzialisiert. „No Loitering“ oder „Loitering prohibited“ – kein Rumhängen, Rumhängen verboten steht an jedem Schnapsladen und vor jedem Lebensmittelgeschäft. Damit soll verhindert werden, daß sich Obdachlose oder Junkies vor den Geschäften rumtreiben, Kunden anbetteln und abschrecken.
Mittlerweile hat man aber den Eindruck, daß die Mitte der amerikanischen Gesellschaft jedes Rumhängen und alles ziellose Umherlaufen pauschal als verdächtig empfindet. Selbst vor völlig verlassenen Gebäudekomplexen, in ausgestorbenen Straßen, ja sogar unter den riesigen Highway-Brücken stehen Schilder, die darauf hinweisen, daß Betreten, Lagern und Trinken verboten sind. Wenn da eine Gruppe auch noch punkig oder sonstwie merkwürdig aussieht, kann sie sich sicher sein, daß sie in der Regel nach wenigen Minuten von beinahe jedem Ort in der Stadt vertrieben wird.
Während die Polizei von Oakland die Veranstalter zwang, jeden sofort in den Laden zu scheuchen, scheint das Klima zumindest in der Amüsiermeile entlang der 1st Avenue etwas entspannter zu sein. Die bunthaarigen Kids genießen den Freiraum, vor dem Club ist weitaus mehr los als im Konzertraum selbst. Viele Metalfans sind gekommen, die drei San-Jose-Bands sind alle deutlich von alten Black-Sabbath-Scheiben beeinflußt. Nicht nur der komische Akzent des Sängers sorgt dafür, daß ASE etwas deplaziert wirken – kein Abend für unseren altmodischen Hardcorepunk. Dafür unterhalten sich die Konzertbesucher desto lieber mit den exotischen Gästen aus Übersee. „Kennt ihr Sodom? Und Kreator, spielen die noch? Hört ihr auch Can?“
Natürlich dauert es nach unserem Auftritt keine zwanzig Minuten, bis der erste Polizeiwagen hält, um sich einen Überblick über das Treiben zu verschaffen. „Haben Sie diesen Jungen Alkohol trinken gesehen“, fragt ein Beamter den ASE-Gitarristen Martin, als er mit einem Teenager quatschend an einer Häuserwand sitzt. Natürlich erwartet die San Jose Police keine ehrliche Antwort. Aber sie hat Präsenz gezeigt. Unser selbstbewußtes Zuprosten auf der Straße verkneifen wir uns daraufhin. In Deutschland hat man keine grundsätzliche Angst vor der Polizei. Hier dagegen reagieren wir langsam genauso paranoid wie die Amerikaner. Sobald sich ein Polizeiwagen nähert, überprüft jeder hektisch, ob er etwas falsch gemacht hat und ob man ihm irgend etwas vorwerfen kann.
Ashland, Orgeon, 3. Juli 1998
Die Fahrt von unserer Heimatbasis Oakland nach Ashland soll sieben Stunden dauern. Danach geht es noch weiter nach Norden – von Süd-Oregon bis Seattle sind es noch einmal zehn Stunden. Das schaffen die klapperigen Gebrauchtwagen der kleinen billigen Verleihfirmen wie Oaklands „Rent-A-Relict“ nicht. Für fünf schwer bepackte Deutsche inklusive-Gitarren und Gästen muß ein schnelleres, zuverlässigeres und größeres Auto her – ein Kleinbus. Easy-Rental in San Leandro hat so ein Gefährt, und es soll gar nicht teuer sein. Also fährt uns Margret, eine der Helferinnen beim B.O.B.-Festival, in ihrem uralten BMW dorthin. Irgendwo bei Quick-Burger soll der Verleih sein, hieß es am Telefon. Tatsächlich ist Quick-Burger gleichzeitig auch ein Autoverleih. Der Chef brät Hamburger und rollt Burritos. Erst als wenig zu tun ist, holt er die Verleihformulare. Easy-Rental ist zwar billiger als Firmen wie Sixt oder Hertz. Dafür ist das Leihverfahren auch komplizierter. Paß und Kreditkarte sind dem Quick-Burger-Mann zu wenig. Er will nur an Leute verleihen, von denen er weiß, wo sie wohnen. Eine Meldepflicht aber gibt es nicht in den USA. Am Ende leiht Margret für uns den Wagen. Eine Rechnung der Gaswerke hat den Quick-Burger-Mann überzeugt, daß sie tatsächlich in Oakland wohnt.
Daß wir nach sieben Stunden Fahrt auf dem Highway 5 durch das wunderschöne, dicht bewaldete Nord-Kalifornien erst in Ashland ankommen, als das mit uns geplante Konzert von Korrupt und ihren englischen Tourkollegen, Maggot Slayer Overdrive aus Bath, gerade zu Ende ist, versteht sich von selbst.
Tenino, Washington, 4. Juli 1998
Tenino besteht aus kaum mehr als ein paar Holzhäusern und einem riesigen Supermarkt. Überall gibt es Feuerwerkskörper zu kaufen, denn die Vereinigten Staaten feiern heute ihre Unabhängigkeit. Doch das kleine Dorf weitab des High-way 5 hat heute auch noch einen anderen Gesprächsstoff: Auch gut zweihundert Punks nutzen den „lndependence Day“, um auf ihre Weise zu feiern. Viele sind bis zu acht Stunden gefahren, um das Punk-Camp in den Bergen zu erreichen. Alle zehn Minuten schält sich ein bunt beklebtes Auto aus dem Wald und hält auf dem Supermarkt-Parkplatz. Die Angestellten begrüßen die ungewohnten Kunden freundlich. „Na, wie geht es euch da oben? Hoffentlich regnet es nicht.“
Das hoffen wir auch, als wir den Wagen bei grauem, diesigen Schietwetter Richtung Punk-Festival steuern. Nach dem letzten Haus von Tenino führt eine ungepflasterte Straße noch einmal einige Kilometer weit bergauf in den Wald zu einem großen Parkplatz. Die letzten 500 Meter bis zum eigentlichen Camp – ein schmaler, steiler Bergpfad – sind eigentlich nur für Fußgänger gedacht. Doch die Lichtung auf dem Berggipfel ist völlig mit schlammbespritzten Autos zugeparkt. In Amerika gehen auch die Punks nicht gern zu Fuß.
Die Organisatoren haben an alles gedacht: Eine kleine Bühne, Verstärker, Gesangsanlage, sogar ein paar bunte Scheinwerfer haben sie mit ihrem Pick-Up-Truck in den Wald geschafft. Hüfthoch sind allein die Reifen dieses riesigen, geländegängigen Fahrzeugs.
Ein knatternder Dieselgenerator sorgt hier für Strom. Die Leute feiern bereits seit gestern, insgesamt soll das Festival drei Tage dauern. 20 Bands haben die Veranstalter eingeladen. „Wir feiern hier jedes Jahr“, erzählt ein Jüngelchen mit Kapuzenpullover. „Aber so viel war hier noch nie los. Ich habe schon jetzt Angst vor dem Aufräumen.“
Die meisten Besucher sitzen um ein Feuer herum, ein paar Punkrockmütter geben ihren Babies die Flasche oder rösten mit ihren etwas größeren Kindern Marshmellows. Zwei Festivalbesucher rasen mit einem kleinen Geländewagen durch das Unterholz. Eine Gruppe Mädchen aus Seattle läßt eine riesige Rotweinflasche kreisen. Black Sabbath dröhnt aus dem Cassettenrecorder. Im Gegensatz zu Deutschland ist hier der Übergang zwischen Punkern und Metalfreaks fließend. Beinahe jeder Punkrocker hat früher Ozzy Osbourne verehrt. Iron Maiden hört man an der Westküste nicht aus Ironie, sondern aus Überzeugung.
Die Sonne geht unter. Wir genießen wie alle anderen auch die Abwesenheit jeder staatlichen Kontrolle. Natürlich wird an jeder Ecke das in den Vereinigten Staaten erstaunlich teure Marihuana geraucht, natürlich sind die Freibierfässer, die die Veranstalter mit ihrem Monstertruck auf den Berg geschafft haben, dicht umlagert. Mit überschäumendem Enthusiasmus werden Bierdosen durch die Gegend geworfen. Sogar ein echtes lndependance-Day-Feuerwerk bekommen wir zu sehen, denn natürlich haben sich einige US-Punks mit Knallkörpern eingedeckt, die gegen Mitternacht gezündet werden. ASE spielen als sechste von neun Bands an diesem Abend. Es ist weit nach Mitternacht, als wir beginnen, und noch immer scheint es, als ob keiner der Besucher ins Bett gegangen ist. Es wird ein denkwürdiger, intensiver Auftritt. Und auch als die nächste Band ihre Verstärker aufbaut, geht keiner – denn so ungestört können die Punks in den USA nur selten ihre Unabhängigkeit feiern.
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