■ Nebensachen aus Peking: Wenn die Demokratie in den Wohnbereich einzieht
Bisher wähnte ich mich glücklich, in einem Haus mit einem chinesischen Olympiasieger und dem männlichen Hauptdarsteller des in Berlin preisgekrönten Streifens „Das rote Kornfeld“ zu leben. Doch beide fehlten, als wir am Samstag das erste freigewählte Mieter- und Eigentümerkomitee der chinesischen Hauptstadt gründeten. Seither weiß ich, daß 67 erklärte Demokraten – so viele Stimmen zählten wir – unter meinen Nachbarn sind. Die Stars im Fahrstuhl interessieren mich nicht mehr.
Es war alles nicht so einfach. Unser Komitee durfte laut Gesetz nur auf Initiative des Hausverwalters gegründet werden, in unserem Fall einer Haus-Management-Firma, die wir als Mieter und Eigentümer für ihre Wach-, Säuberungs- und Reparaturdienste monatlich bezahlen. Die Firma aber wollte partout kein Komitee gründen lassen, dem sie ihre Ausgaben vorrechnen muß.
Außerdem hegte sie den Plan, ein bislang unbenutztes und von uns bereits als Fitneßcenter frisch gestrichenes Seitengebäude unterderhand an ein privates Restaurant zu vermieten. Schon führten sich die Männer, die eigentlich die Angestellten der Mieter und Eigentümer waren, wie Hausherren auf.
Da wollten einige Wohnungsbesitzer in unserem Haus nicht länger zusehen und kündigten auch ohne Beistand der Verwaltungsfirma die Gründung eines Mieter- und Eigentümerkomitees an. Der Konflikt war neu, weil es in Peking bisher keine Blöcke mit Eigentumswohungen gegeben hatte. Erst seit einem Jahr ist auch die Privatisierung der Staatswohnungen Bestandteil der Reformpolitik.
Über uns wohnt ein chinesischer Bauingenieur, der sich an die Spitze der Hausbewegung setzte. Er und seine Unterstützter erhielten nachts fremde Anrufe. Als ein Eigentümer sich weigerte, die Verwaltungsgebühr weiterzuzahlen, ließ die Verwaltungsfirma seinen Namen im Haus öffentlich anschlagen – rüde Einschüchterungsmethoden, die im Parteistaat nur allzu gewöhnlich sind.
Doch die Mutigen obsiegten. Am Freitag kam der Anruf von der obersten Pekinger Aufsichtsbehörde, der die Verwaltungsfirma zwang, unserem Komitee den gesetzlich vorgesehenen Segen zu erteilen. 67 von 109 Hausparteien erschienen daraufhin zur Gründungsversammlung und feierten, als sei in China plötzlich die Demokratie ausgebrochen. „Alle Konflikte sind ausgeräumt“, gab ein Vertreter der Verwaltungsfirma kleinlaut bei.
Allerdings wäre unsere Versammlung kaum so erfolgreich gewesen, wenn nicht der chinesische Rechtsanwalt, der zwischen dem Bauingenieur und uns wohnt, sich der Sache angenommen hätten. Er machte den Behörden die Bedeutung der neuen Wohnungsgesetzgebung klar, er schrieb die Satzung unseres Komitees, die wir dann einstimmig verabschiedeten.
Dabei ist dieser Rechtsanwalt nur in unser Haus gezogen, weil wir dem Pekinger Bezirksgericht benachbart sind, wo noch 1989 zahlreiche Studenten verurteilt wurden, die an den Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens teilgenommen hatten. Heute kann das Recht in China manchmal schon auf seiten der einfachen Bürger sein. Zeitgleich mit unserer Hausversammlung am Samstag morgen war im chinesischen Fernsehen erstmals die Live-Übertragung eines Gerichtsprozesses zu sehen. Georg Blume
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