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Solidarität – tantenhaft und fortschrittshemmend?

■ betr.: „Die Angst des kleinen Man nes“, Kommentar von Ulrike Fok ken, taz vom 6. 7. 98

Kritik an Gewerkschaften ist ja schön und gut: Daß sie nichts als den Standort D im Kopf haben, in anderen Worten ökonomische Kriegsführung zwischen Nationalstaaten solidarischem Internationalismus vorziehen, macht sie ja nicht gerade zu einem Betätigungsfeld für emanzipatorische Politikvorstellungen. Aber daß Du ihnen einen Jost Stollmann auf den Hals wünscht, der das „Unternehmen Deutschland AG“ schon schaukeln will, ist doch zu makaber.

Offensichtlich ist auch für die taz, zumindest aber für Dich, Politik nur noch eine Frage des besseren Marketingprogrammes für den neoliberalen Gesellschaftsumbau. „Geld, Erfolg, Stil, Phantasie und Visionen“ sind „die Tugenden des Jost Stollmann“ (sprich: Stollmän; der Mann hat schließlich in Harvard studiert; Fehler i.O. Herv.: JW), und für Leute mit den gleichen Tugenden wird er seine Politik machen, ob mit oder ohne Zigarre – für Dich und die taz nicht, dafür ist Euer Außenhandelsüberschuß zu gering. Johannes Weigel,

Langzeitstudent, Hannover

Das mußte endlich mal gesagt werden: „der Gewerkschafter... denkt... eher simpel“. Welch differenziertes Urteil voll Phantasie und Kreativität, geradezu visionär! Diese simplen Geister, die als Gewerkschafter im Betrieb immer noch den Mund aufmachen wollen und auf Mitbestimmungsrechten beharren, sind in Wirklichkeit doch nur noch Sand im Getriebe einer modernen, globalen Wirtschaft. [...]

Es weiß doch jeder, daß ein Herr Kohl 14 Jahre lang seine schützende Hand über den „kleinen Mann“ gehalten hat und daß 14 Jahre liberale Wirtschaftspolitik unser Land geradezu in die Moderne, um nicht zu sagen, in die schöne neue Welt hineingepusht hat. Jetzt tritt ein Jung-Dynamischer an, dies auch bei der SPD fest zu verankern, und schon verliert der DGB die Koordinaten.

Dabei verdient man doch bei den ganzen neuen Dienstleistungsfirmen ein Bombengeld! Man hat in der Werbebranche hervorragende Arbeitsbedingungen und äußerst sichere Arbeitsplätze. Es ist überhaupt nicht zu verstehen, warum die blöden Stahlarbeiter nicht in diese Jobs wechseln. Sie würden dort sicherlich viel mehr Spaß an der Arbeit haben.

Und überhaupt, Hunderttausende Jugendliche auf der Straße, millionenfache Arbeitslosigkeit, Großstadtghettos, wachsende Gewalt unter Jugendlichen... das sind ja nur überkommene Parolen eines längst obsoleten „Klassenkrieges“ des DGB, der sich partout nicht von seinen Uralt-Schablonen trennen will! Matthias Schindler, Hamburg

[...] Jost Stollmann hat also „alles das..., was DGB-Funktionäre nie haben werden: Geld, Erfolg, Stil, Phantasie und Visionen“? Gewerkschaftspolitik beruht also nicht auf einem Kampf um Gerechtigkeit, sondern auf einem verächtlichen Neid-Reflex? Dieser Griff in die unterste Schublade in der Auseinandersetzung mit Gewerkschaftspolitik widert mich an, er ist billig und niederträchtig. Da ist es wenig verwunderlich, daß zwei Spalten später eine weitere Stereotype „moderner“ Wirtschaftspolitik präsentiert wird: Der DGB „weiß zwar um die Wünsche eines Stahlarbeiters, nicht aber um die eines Softwareingenieurs oder einer Werbetexterin“. Warum noch so verschlüsselt? Laßt es uns doch offen aussprechen: Solidarität im Kampf um gerechten Lohn und gegen Arbeitslosigkeit ist längst nicht mehr zeitgemäß, sie hat etwas Tantenhaftes und hemmt den Fortschritt. Jeder ist seines Glückes Schmied, und Modernisierung der Gesellschaft kann nur heißen „Entsolidarisierung“.

So ist es, netter formuliert, derzeit überall zu lesen. Wenn dies in Zukunft auch die Haltung der taz ausmacht, dann wird sie als Presseorgan überflüssig. Oliver Tibussek, Köln

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