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Radioaktivität ist nicht gleich Radioaktivität

■ Umweltministerium will Grenzwert für atomare Strahlung auf EU-Niveau heruntersetzen. Strahlenbiologen warnen vor Risiken und fordern differenziertere Schutzverordnung

Hannover (taz) – Im nächsten oder „spätestens im übernächsten Jahr“ wird der Grenzwert der Strahlenschutzverordnung von heute 1,5 Millisievert auf ein Millisievert gesenkt. Mit dieser Ankündigung reagierte Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) gestern auf die Kritik einer Reihe von Strahlenschutzexperten an dem Schutzkonzept, das der bundesdeutschen Strahlenschutzverordnung zugrunde liegt.

Allerdings erklärte sie ebenso wie der Vorsitzende der Strahlenschutzkommission (SSK) Christoph Reiners, die Kritik des Münchner Strahlenbiologen Edmund Lengfelders für nicht seriös. Lengfelder hatte erklärt, die Strahlenschutzverordnung unterschätze die Risiken radioaktiver Strahlung um den Faktor zehn bis zwanzig. Wenn man den Grenzwert in der Strahlenschutzverordnung entsprechend senke, müsse man wegen der natürlichen Radioaktivität achtzig Prozent des Bundesgebiets evakuieren, behauptete Merkel.

Mit der natürlichen Radioaktivität läßt sich allerdings kaum gegen das völlig neue Strahlenschutzkonzept argumentieren, das Lengfelder und seine Mitstreiter wie der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Strahlenschutz, Wolfgang Köhnlein, und der Münchner Mediziner und Biochemiker, Roland Scholz, fordern. Lengfelder hatte auf die dreißigfache Erhöhung des Risikos von Schildrüsenkrebs bei Kindern und Jugendlichen in Weißrußland durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hingewiesen, die es nach den üblichen Erkenntnissen eigentlich nicht geben dürfte.

Die Strahlenschutzverordnung bringt alle Arten radioaktiver Strahlung unabhängig von ihrer Art und Dauer letztlich auf einen Nenner. Hier setzt die Kritik der alternativen Strahlenschutzexperten an. Die Verordnung kennt nur einen Grenzwert – unabhängig davon, ob es sich um eine Teilchen- oder Wellenstrahlung handelt, ob sie von außen auf den Körper auftrifft oder ob radioaktive Partikel in den Körper aufgenommen, ob den Körper einmal eine hohe Dosis oder viele kleine Dosen treffen.

Diesen einen Grenzwert, der entgegen einer Empfehlung der Euratom aus dem Jahr 1986 hierzulande immer noch bei 1,5 statt einem Millisievert liegt, stellt etwa der Münchner Professor Roland Scholz grundsätzlich in Frage: Zwar gebe es in der Strahlenschutzverordnung einen umfänglichen Anhang, der Rechenregeln dafür vorgibt, wie verschiedene Arten von Strahlung in Dosen umzurechnen sind. Seiner Ansicht nach unterschätze sie aber sowohl die Gefahren niedriger Strahlendosen, denen Menschen über einen langen Zeitraum ausgesetzt sind, als auch die besonderen Gefahren, die die Aufnahme geringster Mengen radioaktiver Stoffe in den Körper nach sich ziehen – etwa bei Anwohnern von AKW. „Um die Menschen wirksam zu schützen, muß man mehr als einen Grenzwert festlegen“, sagt Scholz. Jürgen Voges

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