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Angst vor Kompromissen, Angst vor Machtverlust

■ Die Oranier, wie die Unionisten inzwischen zutiefst gespalten, fürchten sich vor den Folgen des britisch-irischen Abkommens. Deshalb verteidigen sie ihre Paraden mit allen Mitteln

Es waren merkwürdige Bilder, die aus Pomeroy in der nordirischen Grafschaft Tyrone über den Bildschirm liefen. Erwachsene Männer in Bowlerhüten und orangenen Schärpen gingen mit Regenschirmen aufeinander los, ein älterer Herr fiel zu Boden. Joel Patton, Sprecher der extremen Oranier- Dissidenten Spirit of Drumcree, hatte die Messe des Oranier-Kaplans William Bingham unterbrochen und ihn als „Verräter“ bezeichnet, der die „Arbeit der IRA macht“. Bingham hatte nach dem Mord an den drei Kindern am Sonntag die Oranier in Drumcree aufgefordert, nach Hause zu gehen: Kein Prinzip sei ein Menschenleben wert. Patton sagte: „Als unsere Brüder in Drumcree ihn am nötigsten brauchten, fiel er ihnen in den Rücken.“

Die Oranier sind, ebenso wie die Unionisten, zutiefst gespalten. Der Unionismus sei „in einem chaotischen Zustand“, jammerte Oranier-Chef Robert Saulters: „Ein zersplitterter Unionismus ist aber kein ernstzunehmender Gegner für die Phalanx der Nationalisten.“ Jeffrey Donaldson, Dissident der Ulster Unionist Party und Gegenspieler seines Parteichefs David Trimble, rief zur Gründung einer „neuen, vereinigten unionistischen Bewegung“ auf, um die verschiedenen Strömungen „zu einer mächtigen politischen Kraft“ zusammenzuschließen.

Bei den Oraniern, zu denen die Führungsetage der protestantischen Parteien gehört, geht die Angst um. Angst vor der Zukunft, vor den Kompromissen, vor Machtverlust. Deshalb verteidigen sie ihre Paraden mit allen Mitteln. Diesmal lag der Kindermord wie ein Schatten über den Märschen, auch wenn die Oranier versuchten, einen Zusammenhang zwischen der Tat und den Protesten in Drumcree zu leugnen. Natürlich wird niemand die Oranier direkt für die Morde verantwortlich machen, es sind in der großen Mehrzahl friedliche Menschen, doch haben militante Protestanten die Lage in Drumcree seit zehn Tagen ausgenutzt, um Krawall zu machen. Andere, wie Ian Paisley, kochen ihr politisches Süppchen. Drumcree sei „eine Schlacht für bürgerliche und religiöse Freiheiten – eine Schlacht, die wir nicht verlieren dürfen“, sagte Paisley.

Er redet von Freiheiten, doch er meint das britisch-irische Abkommen. Fast drei Viertel der Bevölkerung haben im Mai im Volksentscheid dafür gestimmt. Paisley reklamiert dennoch eine Mehrheit für sein Nein-Lager, denn für ihn zählt nur die Mehrheit der Protestanten. Vielleicht hätte er sich doch noch durchgesetzt, aber der Mord an den Kindern hat die Lage verändert. Er hat, und das ist nicht zynisch gemeint, David Trimbles politisches Überleben gesichert.

Der designierte Premierminister Nordirlands sei zum ersten Mal wie ein Staatsmann aufgetreten, sagten selbst politische Gegner, als Trimble mit seinem Stellvertreter, dem katholischen Sozialdemokraten Seamus Mallon, die Familie der Mordopfer besuchte und auf einem Ende der Proteste in Drumcree beharrte. Als Premierminister, sagte Trimble, sei er für beide Bevölkerungsteile zuständig.

„Es ist ein Zeichen“, sagte die britische Nordirland-Ministerin Marjorie Mowlam, „daß das Karfreitags-Abkommen seinen ersten großen Test bestanden hat. Nordirland hat zwei politische Führer, die Mut und Führungsqualitäten bewiesen haben. Und diese Eigenschaften spielen in den kommenden Monaten und Jahren eine große Rolle.“ Ob sie dieser Rolle gewachsen sind, muß sich erst noch erweisen, denn die drei Kinder waren wohl nicht die letzten Opfer des nordirischen Konflikts.

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