: Deutsche Bahn füllt Autobahn
■ Interne Papiere der Deutschen Bahn AG zeigen: Wegen rückläufiger Umsätze beim ICE-Verkehr ist geplant, ein Fünftel aller Fernzüge zu streichen. Die Bundesländer sollen Interregiozüge finanzieren. Doch bei den Regierungen regt sich Widerstand
Berlin (taz/dpa) – Fast ein Fünftel aller Fernzüge soll bei den nächsten beiden Fahrplanwechseln gestrichen werden. Das geht aus internen Papieren der Deutschen Bahn AG hervor, die jetzt bekannt wurden. Die Interregios sollen sogar zu fast 50 Prozent ausrangiert werden. Die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands rechnet damit, daß der Verlust von bis zu 1.000 Arbeitsplätzen droht.
Bahn-Chef Johannes Ludewig hatte in der vergangenen Woche den Ländern in einem schwammig formulierten Brief lediglich mitgeteilt, im Personenfernverkehr sei das gesamte Angebot überprüft worden. Das Ergebnis: Fern- und Nahverkehr müßten besser aufeinander abgestimmt werden. Termine für Gespräche zwischen der Bahn und den Verkehrsministerien würden gerade vereinbart, versicherte Bahn-Sprecher Martin Katz. Über den Wegfall konkreter Linien wollte er sich aber nicht äußern.
Ludewig hatte erst im Mai Heinz Neuhaus als verantwortlichen Vorstand für den Fernverkehr rausgeschmissen und dafür den ehemaligen Berliner S-Bahn-Chef Axel Nawrocki geholt. Der CDU-Mann ist in der Bundeshauptstadt allseits bekannt, weil er für viele Skandale bei der Olympia GmbH verantwortlich war. Jetzt will er offenbar den DB-Fernverkehr, der im vergangenen Jahr ein Minus einfuhr und nach dem ICE-Unglück von Eschede mit noch massiveren Verlusten rechnen muß, auf Kosten der Länder sanieren. Denn die auch für den Nahverkehr wichtigen Interregios verzeichnen Fahrgastzuwächse, während bei Intercitys und ICEs immer mehr Plätze frei bleiben. Nawrocki spekuliert offenbar darauf, daß die Länder nicht auf die Interregios verzichten wollen und dafür bezahlen. Wo das nicht geschieht, werden viele Fahrgäste wohl oder übel einen Intercity-Zuschlag lösen und so Nawrockis Bilanz aufbessern – oder sich wieder hinters eigene Steuer klemmen. Das Bundesverkehrsministerium tat gestern so, als ob es mit all dem nichts zu tun hätte. Ein Sprecher sagte gestern, die Deutsche Bahn AG entwickle ein bedarfsgerechtes Angebot für den Schienenverkehr „in eigener unternehmerischer Verantwortung“. In mehreren Landeshauptstädten regte sich allerdings gestern massiver Widerstand. Der Chef der Verkehrsministerkonferenz, der Sozialdemokrat Peter Fischer aus Niedersachsen, bat Ludewig dringend um einen Gesprächstermin.
Nach Ansicht von Pro Bahn fällt die Bahn zurück in die Arbeits- und Denkweise einer Behörde. Auch früher sei auf Fahrgastverluste mit Einsparungen reagiert worden, anstatt aktiv um Wachstum und neue Kunden zu kämpfen. „Auf der Strecke bleiben die Fahrgäste“, sagte Sprecher Holger Jansen. aje
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