: Aufregung um einen Anruf aus dem Pentagon
■ Die USA machen in Bonn Druck wegen Statuts für Internationalen Strafgerichtshof
Genf (taz) – US-Verteidigungsminister William Cohen soll Bundesverteidigungsminister Volker Rühe mit der drastischen Reduzierung des militärischen Engagements der USA in Westeuropa gedroht haben. Grund dafür sei die Forderung Bonns, US-Soldaten von einem künftigen Internationalen Strafgerichtshof (ICC) anklagen zu können. Dies berichtete die britische Nachrichtenagentur Reuters in der Nacht zu gestern unter Berufung auf das Protokoll eines Telefonats zwischen den beiden Verteidigungsministern. Das amerikanische Pentagon hat das Telefonat zwar bestätigt, bestreitet aber den von Reuters geschilderten Inhalt. Laut Pentagon sei die Kritik Cohens an die deutsche Adresse viel milder ausgefallen.
Selbst wenn das Telefonat zwischen Cohen und Rühe mit dem von Reuters geschilderten Inhalt stattgefunden haben sollte, geht es dabei wesentlich um heiße Luft. Unter den 159 Teilnehmerstaaten an den Verhandlungen über das Statut für einen ICC besteht zumindest ein Konsens: Ein künftiger Strafgerichtshof soll, wenn überhaupt, nur dann aktiv werden, wenn nationale Gerichtsbarkeiten nicht existieren oder aber unfähig beziehungsweise unwillig sind, einen bestimmten Fall aufzugreifen.
Auch schärfste Kritiker der USA dürften nicht ernsthaft behaupten, daß dort kein unabhängiges, funktionsfähiges Gerichtswesen existiere. Deshalb ist der Fall, daß amerikanische Soldaten nach Auslandseinsätzen vor einem ICC zur Verantwortung gezogen werden, theoretisch möglich, praktisch aber kaum vorstellbar.
Das amerikanische Pentagon hat seit Beginn der Diskussion über einen ICC mit der Sorge argumentiert, dort könnten amerikanische Soldaten, im Rahmen von UNO-, Nato- oder auch nationalen Einsätzen, „mißbräuchlich“ angeklagt werden. Im vergangenen März hatte das Pentagon eigens die Militärattachés fast sämtlicher in Washington vertretenen Auslandsbotschaften eingeladen, um gegen einen ICC zu agitieren.
Diese Sorge des Pentagon wird jedoch vom Außenministerium und vom Weißen Haus nicht geteilt. Somit könnte der Anruf Cohens ein Versuch des Pentagons sein, in letzter Minute die Linie durchzusetzen und einen ICC zu verhindern. Möglich wäre auch, daß die USA für die zwei letzten Tage der ICC-Verhandlungen deutlich machen wollen, wo Kompromisse noch möglich sind.
Der politisch brisanterer Streitpunkt bei den Verhandlungen in Rom ist Washingtons Insistieren, daß ein künftiger ICC einer weitgehenden Kontrolle des UNO-Sicherheitsrates unterstellt wird. Dieses lehnen Deutschland sowie etwa 59 Ländern ab. Dasselbe gilt für Washingtons Variante, in einem ICC-Statut bestimmten Personengruppen, etwa US-Soldaten, Immunität vor einem ICC zu verleihen. Wegen des Widerstandes sämtlicher westeuropäischer Staaten außer Frankreich gibt es in der amerikanischen Administration und dem Kongreß Unmut über die Europäer.
Dieses ist nicht neu. Besonders seit dem Fall der Berliner Mauer gibt es Differenzen im westlichen Lager und innerhalb der Nato, die auf amerikanischer Seite zu Drohungen geführt haben, das militärische Engagement in Westeuropa zu reduzieren oder ganz einzustellen. Andreas Zumach
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