: Der Boxing Club im Ghettoland
■ Neu im Kino: „TwentyFourSeven“ von Shane Meadows
Vierundzwanzig Stunden, sieben Tage in der Woche, leben die Jugendlichen in einem heruntergekommenen Viertel von Nottingham trostlos vor sich hin. „No-thingham“ wäre eine passendere Schreibform für ihre Heimatstadt. Sie prügeln sich, saufen, kiffen und wenden ihre Wut und Aggressionen gegen sich selbst. Aber ein arbeitsloser Ex-Boxer hat eine Vision: Mit einem Box-Verein will Alan Darcy den Jungs ein Ziel geben. Bei Kämpfen nach festen Regeln sollen sie lernen, sich selbst im Zaum zu halten, und dabei ihre Würde wiedergewinnen.
Das ist schon die ganze Geschichte dieses Spielfilms eines jungen britischen Filmtalents. Shane Meadows erzählt von den schweren Anfängen des Clubs, stellt uns die einzelnen Jugendlichen und Darcy in seiner sympathischen Sturheit und Einsamkeit vor, zeigt den langsamen Aufstieg des Clubs und das brutale Ende. Das Ganze in körnigen, bewußt kunstlosen Schwarzweiß-Bildern und mit den geläufigen Gruppencharakteren: dem Heißsporn, dem dicken Underdog, dem ewig Bekifften, dem gequälten Feingeist usw. Nun ja! Man glaubt, das alles schon gesehen zu haben, und doch gelingt es Meadows so geschickt, die Zuschauer in seinen Film zu ziehen, daß man kaum weiß, warum man den Jungs gern beim Training zusieht, auch wenn man Boxfilme nicht ausstehen kann.
Der offensichtliche Grund dafür ist natürlich Bob Hoskins. Dessen Karriere hatte nach den Höhepunkten „Mona Lisa“ und „Roger Rabbit“ in den 90ern einen Bauchklatscher gemacht: Er wurde in Filmen nur noch als der nette, dicke Prolet besetzt, und in den letzten Jahren sah man ihn in England lediglich in kitschigen Werbespots. Hier aber gibt Hoskins der Rolle soviel Tiefe, Wärme und Würde, daß man seine Vision erkennt und versteht. Alle dramaturgischen Wendungen des Films haben ihn als starken Fixpunkt. Hoskins scheint nie stillzustehen, und seine Körpersprache ist viel beredter als die Dialoge des Films. Vieles braucht da nicht erklärt oder plausibel gemacht zu werden – man sieht es ja in Hoskins und glaubt es! Und auch das Ensemble von jungen, bisher noch unbekannten Schauspielern scheint durch Hoskins' Souveränität einen Kick bekommen zu haben. Man hat nie das Gefühl, der Veteran würde den Jungs die Show stehlen – statt dessen wirken sie in den Szenen mit ihm viel intensiver und glaubwürdiger als nur unter sich.
Aber Meadows hat noch andere Trumpfkarten in der Hand. Das Drehbuch ist sehr geschickt konstruiert. Meadows beginnt gleich mit dem Scheitern: Man sieht Darcy als völlig apathischen Obdachlosen in einem Trümmerfeld; einer seiner Ex-Schüler nimmt ihn auf, findet Darcys Tagebuch, und während er darin liest, versetzt uns der Film mit einer Rückblende an den Anfang der Geschichte. Dieses Gambit zahlt sich aus, denn so entsteht ein Spannungsbogen, der es Meadows gestattet, viel subjektiver und sprunghafter zu erzählen. Und zum Glück übertreibt er es nicht mit der Tristesse.
Meadows steht eher in der Tradition eines Mike Leigh als der eines Ken Loach: Er fabuliert lieber, als lange das Elend zu dokumentieren. Deshalb gelingt ihm auch eine erzählerische Finte am Schluß, die ebenso verblüffend wie eindrucksvoll wirkt: „TwentyFourSeven“ schließt mit der Beerdigung des Helden und hat doch ein Happy end! Wilfried Hippen
Cinema, tägl. 21 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen