piwik no script img

Betr.: Aus dem Leben eines Punks

Tagesablauf. Ich steh auf, seh, was ich noch an Geld hab, und sorg dafür, daß der Hund was zu fressen hat. Hab ich keine Kohle, gehe ich was schnorren. Wenn ich Hunger hab, hole ich mir was zu essen. Der Rest hängt davon ab, wen ich treffe. Kann sein, daß ich abends an einem Lagerfeuer ende oder zu Hause. Kann passieren, daß ich gerade schlafen gehen will, da klingelt es, vier Leute stehen vor der Tür und schwupps! biste draußen auf einer Party. Telefon gibt's nicht. Meistens ist das Fenster offen, da kommen auch Leute rein, wenn ich nicht da bin. Die alte Wohnung konnte man auch mit dem Messer aufmachen. Alle wußten das. Da war immer offen.

Arbeiten. Arbeit ist nichts, wo ich „nö“ sage. Wenn ich Geld brauche, gehe ich halt jobben – Mittwoch und Freitag, wenn es Umzüge gibt, für fünfzehn, sechzehn Mark die Stunde. Lieber einen Tag richtig arbeiten oder zwei, dann hast du deine 120 oder 240 Mark und kannst erstmal eine Woche Urlaub machen. Das reicht, um mit Hund über die Runden zu kommen. Oder du kannst für ein paar Tage nach Hiddensee.

Graffiti. Ich male nur auf Papier. Ich hab keine Lust, mir Dosen zu kaufen. Ich bin auch nicht so der Maler. Die Schmierer, die tags setzen, sind meist hackebreit, aber es sind schon tolle Sachen entstanden. Einige haben aufgehört, weil sie in den Bau wandern, wenn sie noch mal erwischt werden. Ein Kumpel von mir ist jetzt auf Bewährung, und der wartet jetzt brennend auf den nächsten Monat, da geht's wieder los. Ich find's schön. Malereien und Schmierereien sind mir lieber als kahle Wände. Schade, daß es jetzt weniger wird. Es schafft doch Arbeitsplätze: Einer verkauft die Dosen, ein anderer muß es wieder wegmachen...

35-Mark-Ticket. Finde ich scheiße, daß man jetzt nicht mehr umsonst mitfahren kann. Früher hat das immer geklappt. Wir sind ja nicht Pöbelpunks, sondern eher so freundlich – zwar stockbesoffen, aber auf die nette. Jetzt werde ich aber auch noch mitgenommen. Bis achtzehn gilt man als Kind und kann umsonst mitfahren. Bin ich halt siebzehn, ich hab keinen Ausweis dabei, tut mir leid.

Hiddensee. Das erste Mal hatten wir nach einer halben Woche Hausverbot bei Edeka, der einzigen Kaufhalle. Da wurden wir beim Klauen erwischt. Da kamen die Bullen von der Insel, Dieter und Peter. Auf der Insel geht's ganz familiär zu. Die beiden Bullen fahren auf dem Fahrrad rum, in Jeanshose und Polizeihemd. Einmal hat uns die Dorfjugend angeschwärzt, wir hätten mit Drogen gedealt, das war aber Quatsch. Da mußten Dieter und Peter Razzia bei uns machen. Da kamen sie an, so richtig mit Uniform und Wumme und Drogenhund – total nett eigentlich. Wir haben uns voll gefreut für die Bullen.

Schnorren. Ich schnorre nur nach Bedarf, nicht jeden Tag. Ich versuche immer, soviel Kohle zu machen, daß ich zwei Tage über die Runden komme. Du mußt halt Geduld haben und dir einen Haufen dumme Sprüche anhören und darfst nicht ausflippen. Ich sollte mal arbeiten gehen oder so. So kannste doch nicht ewig weiterleben. Du kannst ja auch nicht jedem zwei lang, zwei breit erzählen, was du vorhast oder machst. Wenn ich keinen Bock hab, leih ich mir lieber Kohle oder laß anschreiben. Dann gehe ich eben jobben, fertig. An einem Schnorrplatz, wo ich früher immer war, sind in letzter Zeit Straßenpunker, die etwas aggressiver sind und sich mit Sprit zusaufen. Da heißt es jetzt schon mal: „Ihr versauft das ja bloß.“ Seither schnorre ich halt nicht mehr da.

Liebe. 'Ne Freundin hab ich, so seit einem halben Jahr. Die wohnt noch bei ihren Eltern, darum sehen wir uns auch nicht so oft. Ich schätze, wir gehen uns deshalb auch nicht so auf den Keks. Sie macht ihr Ding, ich mach mein Ding. Jetzt hat sie Pillen gefressen, und ihre Etern denken, das kommt alles aus meiner Szene, weil wir offener mit Drogen umgehen. Bloß da, wo sie rumhängt, sind halt alle auf dem Trip: Pillen fressen, Pillen fressen. Sie geht auf andere Parties als ich, aber sie toleriert, daß ich Bier trinke, und ich akzeptiere, was sie macht. Wenn sie Bock hat, kann sie ja nach Schweden nachkommen, wenn sie alt genug ist.

Gewalt. Als ich letztens eins vor die Fresse gekriegt hab, war ich zu breit für Gewalt. Ich versuche immer, Gewalt zu vermeiden und die Leute kennenzulernen. Aber wenn's echt nicht geht – was soll's? Vor allem: Lieber Gewalt an mir, da komme ich weniger auf den Film, daß ich mich wehren soll. Der körperliche Schmerz ist mir relativ egal, mir tut das nicht weh. Wenn du richtig fest einen gewischt kriegst, dann bist du ja betäubt, das tut ja nicht weh. Letztens hat mir einer vor die Augen getreten. Da kam so'n Stino gerannt und hat mir sein Taschentuch geschenkt, weil ich am Auge geblutet hab. Nächsten Tag hatte ich einen tierischen Alkabtörn, Kreislaufkollaps, Schwindelgefühle, da hab ich die Sache mit dem Auge gar nicht so vertickt. Als es mir nach zwei Tagen wieder besser ging, war das Auge nur noch bißchen blau.

Mißverständnisse. Ich kenne einen Skinhead, der muß einmal die Woche bluten. Der hat bei mir gepennt und ging kurz raus. Da saßen drei Hippies, die haben über ihn getuschelt, da meinte er: Ihr könnt ruhig laut reden. Da meinte der Hippie nur: Halt's Maul, Faschist. Der ist aber kein Faschist, das läßt er sich nicht zweimal sagen. Da wollte er sich mit den dreien prügeln, aber zwei sind gleich abgehauen. „Tut mir leid, daß du jetzt der einzige bist“, hat er gesagt und dem Hippie eine gegeben. Sagt der: „Hör auf, du Faschist!“ Da ist er erst so richtig ausgerastet und hat den zusammengelegt. Kam er bei mir an, der ganze Hausflur war blutig von seinen Händen. Er hat mir das erzählt, und ich meine: „Hast du ihm wenigstens erzählt, daß du kein Faschist bist?“ „Oh Gott, das hab ich jetzt total vergessen.“

Hund. Hund ist wichtig. Eine Art Schwesternersatz, ein kleines Kind. Hund geht vor. Das war für mich auch Kündigungsgrund bei meiner Lehrstelle. Anfangs konnte ich Hund noch mitnehmen, aber dann wurde er zu groß.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen