■ Neues aus dem Land der Lifestyle-Drogen: Nach Viagra kommt Soma
Das Erdvolk von Aldous Huxleys „Schöner neuer Welt“ vertreibt sich im Jahr 632 nach Ford jede noch so kleine Sorge mit dem Allheilmittel Soma. Wir zeitgenössischen ErdbewohnerInnen müssen einstweilen mit Single-Use-Präparaten wie Viagra vorlieb nehmen.
Und doch ist der Schritt zum Soma jetzt kürzer als er es vor der Entwicklung des potenzsteigernden Mittels Viagra war. Glaubt man Bremer Urologen, die gestern eigentlich die Debatte über das Medikament entdramatisieren wollten, werden auf die „Life-style drug“ Viagra weitere folgen. „Viagra“, so der Chefarzt für Urologie an der Roland-Klinik, Heribert Kaulen, „ist kein Allheilmittel“, habe aber trotzdem die Behandlung von Impotenz revolutioniert (vgl. Seite 3). Aldous Huxley (1894-1963) hätte ihm gewiß zugestimmt.
In seinem vor 1932 erdachten Zukunftsroman „Schöne neue Welt“ ist Soma die Lifestyle-Droge schlechthin. Sie hat bei pseudoreligiösen Feiern tranceähnliche Zustände zur Folge und wirkt zugleich als Aphrodisiakum. Bei „Revisionen“ der „Neuen Welt“ hat Aldous Huxley in den 50er Jahren einen Hauptirrtum eingestanden und sich auch auf die Staatsdroge Soma bezogen: Die Verlegung des Geschehens in eine Epoche sechs Jahrhunderte nach (dem Autofabrikanten Henry) Ford sei zu großzügig, seine Fiktion könne viel schneller Wirklichkeit werden.
Die Entwicklung der blauen Pille Viagra, die im Gegensatz zu Soma kein Aphrodisiakum ist, gibt ihm posthum Recht. Erst 1990, so Heribert Kaulen, wurde entdeckt, welche Botenstoffe eine Erektion auslösen. Nur acht Jahre später hat der US-Pharmakonzern Pfizer ein Präparat auf den Markt gebracht. Mit einer Zulassung in der Europäischen Union rechnet Kaulen im September. Schon im nächsten Jahr werde ein Konkurrent ein ähnliches Präparat anbieten, das die Preise von zur Zeit 700-800 Mark für eine 30-Tabletten-Packung drücken werde.
Nur in der Diskussion um die Kostenübernahme durch die Krankenkassen unterscheidet sich das derzeitige Staatswesen vom „großzügigen“ Weltstaat Aldous Huxleys. In einer ersten Entscheidung hat es der Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen Ende Juni abgelehnt, Viagra auf Krankenschein zu verschreiben. Kaulen und sein Kollege Norbert Scholz sind gegen diese Totalablehnung und plädieren für eine Lex Viagra: Teilerstattung plus höhere Selbstbeteiligung bei diesem und kommenden Lifestyle-Präparaten.
Setzen sie sich durch, ist auch Soma bei der Markteinführung 2017 kostenpflichtig. ck
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