: Warten, bis es etwas gibt
Warum Hollands Medien zunächst kaum auf den Kinderporno-Skandal einstiegen. Zeitungen diskutieren, ob man die Bilder zeigen darf – das Fernsehen lehnte es ab ■ Von Jeanette Goddar
Es gab einiges mehr oder weniger Wesentliche zu berichten: Nach zweieinhalb Monaten war endlich ein Koalitionsvertrag zustande gekommen, der US-Drogenbeauftragte Barry McCaffrey war im Land, in Tilburg wurden vier Menschen erschossen aufgefunden. Guus Hiddink, der Berti Vogts der Niederlande und seit der WM zur Ikone geworden, wechselt zu Real Madrid. Unmittelbar vor dem Wetter noch zwei Sätze: Die Polizei ist einer Kinderporno- Bande mit Sitz in Zandvoort auf der Spur. Wie die Nachrichtensendung „Nova“ gestern berichtete...
Mit erstaunlicher Gelassenheit haben die niederländischen Medien auf den massenhaften Fund von Kinderpornos im Badeort Zandvoort reagiert. Während die Fernsehsender in Deutschland (auch öffentlich-rechtliche) weder Kosten noch Mühe scheuten, noch am Donnerstag Reporter an den Strand zu schicken („Werden Sie jemals wieder in den Niederlanden Urlaub machen?“), reichte der grausame Fund den niederländischen Medien anfangs gerade einmal für eine Kurzmeldung. Erst in der Wochenendausgabe hievten die seriösen Tageszeitungen NRC Handelsblad und Volkskrant das Thema auf die Titelseite – erstere unter der Überschrift „Internationale Aufregung über...“
Der Volkskrant debattierte vor allem darüber, ob das TV-Nachrichtenmagazin „Nova“ (vergleichbar den deutschen „Tagesthemen“), nicht einige Bilder hätte zeigen sollen, um das Ausmaß der Grausamkeit zu verdeutlichen. Doch die „Nova“-Redaktion argumentiert, die Bilder gehörten nicht in die Öffentlichkeit; sie zu zeigen lenke vom Thema ab und diene lediglich der Effekthascherei. Zig Anfragen, die Bilder herauszugeben, wurden abgelehnt. Sie kommen vor allem von der Boulevardpresse und Privatsendern aus dem Ausland, viele aus Deutschland. So mußte auch Bild mit Aufnahmen des Appartments („Die Höllen-Wohnung“) vorliebnehmen.
Erst seit Wochenbeginn wird nun auch in den Niederlanden heftig diskutiert. Während deutsche Journalisten längst suggerierten, die notorisch toleranten Niederländer nähmen das Thema nicht ernst, wollten den Skandal im eigenen Land totschweigen oder der angeblich laschen Justiz nicht schaden, sind die angesprochenen Journalisten von ihrem Vorgehen nach wie vor überzeugt. „Wir sind kein Sensationsblatt“, sagt Margriet Oostveen, die für das NRC Handelsblad seit längerem über Kinderpornographie recherchiert, „statt irgend etwas zu schreiben, haben wir gewartet, bis wir was zu sagen hatten. Angesichts der Nachrichtensperre hat das eben etwas gedauert.“
Dazu komme, so Oostveen, daß die meisten Journalisten zunächst an der Glaubwürdigkeit der Aktivisten von der „Werkgroep Morkhoven“ gezweifelt hätten. Anders als in Deutschland stand hier in fast jedem Bericht zu lesen, daß die Gruppe wegen einiger ihrer Aktionen höchst umstritten sei und mehrere Mitglieder vorbestraft seien. Auch Oostveens Kollegin Marjon Bolwijn von der Amsterdamer Tageszeitung Het Parool hält es für richtig, „am Anfang vorsichtig gewesen“ zu sein. „Die deutsche Presse hat sofort sehr viel geschrieben. Uns erschien das voreilig.“
Anders als in Deutschland konnten die Journalisten in den Niederlanden es sich aber auch leisten abzuwarten: Außer der Tageszeitung De Telegraaf (etwa vergleichbar mit der Berliner Morgenpost) sowie dem Algemeen Dagblad gibt es keine Boulevardpresse, die sich umgehend auf jedes sensationsversprechende Thema stürzt. Blätter vom Kaliber von Bild oder gar der britischen Sun fehlen völlig. Auch ernstzunehmende private TV-Sender gibt es kaum; Nachrichtensendungen entstammen fast alle der pietistischen niederländisch-christlichen Tradition.
So stehen die niederländischen Medien nicht nur Sexskandalen meist nüchtern gegenüber, sondern jedweder Sensationsberichterstattung. Auch die Hochzeit des Kronprinzen oder der Rücktritt des Außenministers Hans van Mierlo, 30 Jahre ein entscheidender Mann, regten nicht übermäßig auf. Die einzige Ausnahme, die die gesamte Presse zu einem orangen Fahnenmeer werden ließ: Der Sieg im WM-Viertelfinale gegen Argentien: „Wer stoppt Oranje?“
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