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In der Daddel-Hölle

Mit Sue Garner drehen sich die Postrock-Impresarios von Tortoise im Kreis  ■ Von Volker Marquardt E

Eigentlich ist Tortoise gar keine Band. Das mindestens siebenköpfige Künstlerkollektiv aus Chicago erinnert eher an eine anorganische Substanz, die sich in alle möglichen Richtungen ausbreitet – je nach der Zusammensetzung der Moleküle.

Zuletzt schlossen sich die beiden Programmierer, Dan Bitney und John Herndon, kurz und zeigten mit ihrem Projekt Isotope 217, wohin die Gedanken bei der Postrock-Vorzeige-Formation fliehen könnten. The Unstable Molecule war dem Titel entsprechend fragil bis zur Auflösung der Stücke: symphonische Arbeitsproben, bei denen Hörner und Rhythmusmaschinen den Ton angeben.

Kein Wunder, daß diese wundersamen Definitionen von Pop als universelle Klangforschung, daß Tortoise mit Isotope 217 zum diesjährigen Jazz-Festival in der Fabrik geladen wurden. Wegen einer Augenerkrankung des Gitarristen Jeff Parker mußte die Tour dann abgesagt werden, und ein wichtiger Vektor des Festivals fiel weg.

Nun kommen Tortoise mit ihrer Labelmate Sue Garner auf Tour und schließen sich ausgerechnet an die New Yorker Folkrock-Schule an. Warum, kann sich keiner so recht erklären. Wenn Sue Garner mit den Run Ons noch gepfefferten Avant-Rock fertigte, skizziert die Sängerin auf ihrem Solo-Debüt lose Entwürfe, die zart und zerbrechlich ans Eingemachte gehen sollen. Dabei läßt sich To Run More Smoothly, von Ex-dB Chris Stanley äußerst spartanisch koproduziert, aber auf keinerlei Experimente ein. Smart-Rock für zarte Gemüter. Von Post-Irgendwas kann da keine Rede mehr sein.

Dennoch ging sie zusammen mit dem Tortoise-Indierock-Beauftragten Doug McCombs auf eine ausgedehnte USA-Tour. Immer deutlicher hegen und pflegen die einzelnen Mitglieder des Kollektivs ihre diversen Vorgärten – hier Pluckern und Programmieren, da Gefühligkeit und Gitarre. Für das Mutterschiff allerdings raufen sich die Schildkröten dann doch immer wieder zusammen.

Ihr mittlerweile drittes Studio-Album, TNT, gibt sich an der Oberfläche ganz improvisiert. Auf liniertem Papier raucht da ein mit schnellem Strich gezeichnetes Männchen den Schriftzug; die Trackliste ist handschriftlich, fehlerhaft und korrigiert. Ganz anders aber der Tonträger. Bis in die letzte Tonspur durchgestylt, musiziert das Septett aus Chicago auf so hohem und selbstgefälligem Niveau, daß es manchen Postrock-Müden an das Muckertum aus den 70er Jahren erinnert, was er auf TNT zu hören bekommt: indonesische Gamelans, Flamenco-Gittaren und endlose Variationen einer Melodie jagen die bekennenden Ry-Cooder-Fans durch ihre Halleffekte. Alles schön heimelig produziert.

Wenig ist übriggeblieben von der souveränen Reserviertheit, mit der Tortoise anfangs ihre Kapazitäten einsetzten. Stellenweise klingt TNT tatsächlich nach einem ziemlich beliebigen und meditativen Kling-Klang; stellenweise aber auch wie das Nebenprojekt Isotope 217. Nur dann sind sie wirklich gut, weil offen. Dennoch wurde TNT von Spex und vom Musik Express zur Platte des Monats März gekürt.

Vermutlich hängt das mit der Integrationsfähigkeit zusammen, die das Kollektiv aus Chicago mal besaß, als es zwischen 1994 und 1996 fast im Alleingang Postrock publik machte. War auf dem unbetitelten Debüt noch die Auflösung von Songstrukturen ein entscheidender Schritt, so zog sich durch Millions Now Living Will Never Die ein warmer subsonischer Bass. Doch mit TNT haben die einstigen Vorreiter, die viel darauf geben, sich nicht selbst zu recyceln, Postrock in eine Daddel-Hölle überführt. Die Impulse kommen zuletzt eher von den eigenen Nebenprojekten, von Ganger aus Schottland oder von Notwist und ihrem Ableger, dem Tied&Tickled Trio aus dem süddeutschen Weilheim.

Live waren Tortoise mit ihren druckvollen Remix-Versionen aber bisher noch immer ihr Geld wert. mit DAAU: Do, 23. Juli, 21 Uhr, Fabrik

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