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Wir lassen lesenAusputzer Nietzsche

■ Auch Kopfarbeiter haben was in den Beinen, wie der 1. FC Philosophie beweist

Der Engländer Mark Perryman hat eine ganz besondere Fußballmannschaft zusammengestellt, deren Beschreibung inzwischen in deutscher Übersetzung erschienen ist. Klar, daß William Shakespeare von Aston Villa beim 1. FC Philosophie die Fäden in der Hand hält, jener Spielmacher, der sich viel auf italienischen Plätzen herumgetrieben hatte und dort nicht zuletzt von Ausnahmespielern wie dem Altmeister Cäsar oder der schwarzen Perle Othello beeinflußt worden war.

Will geht in der Regel über rechts, und so gehört die linke Seite ganz den Füßen des Marxisten Gramsci – und natürlich Bob Marley. Bob ist eines dieser Stehaufmännchen, die nie aufgeben („Get up, stand up“). Nicht zuletzt das Prinzip, ausschließlich auf Gras zu spielen, hat zu der großen Berühmtheit des Mannes für verschachtelte Dribblings und Hüfttäuschungen beigetragen.

Liebt Bob das Flügel- und Saitenspiel, so schlägt Rechtsaußen Oscar Wilde lieber lange Bälle vors Tor, wobei er nicht selten den Ball so hart trifft, daß er unter die Gürtellinie geht. Anders Umberto Eco mit der Nummer neun, der Mann vom AC Bologna mit seinem unorthodoxen Angriffsspiel, dabei immer auf der Lauer im Strafraum, jener berüchtigten Insel des vorigen Abschlages.

So brillant und kreativ die Spitzen des 1. FCP, so kompromißlos seine Verteidigung. Auffällig an Perrymans Taktik: die doppelt besetzte Position des Vorstoppers. Zum einen Friedrich Nietzsche vom FC Basel mit seiner ganz eigenen Art des Hineingrätschens. Zum anderen Ludwig Wittgenstein, der Exilösterreicher von Cambridge United, ebenfalls nicht zimperlich, aber immer auch bemüht, das Spiel in ein System einzuordnen. Berühmt seine endlosen Debatten mit dem Mann in Schwarz. Albert Camus, die Leihgabe aus Algerien, pflegt ein so einsames Spiel auf der Torlinie, jener letzten Grenze vor dem Nichts, daß er Zeit genug findet für seine Reflexionen über den Sinn des Spiels und des Lebens überhaupt. Perryman läßt unerwähnt, wie oft Camus' Blicke nach rechts gehen, dorthin, wo die einzige Frau des Teams die Aufgabe der Vertretung ihres Geschlechts innehat. Simone de Beauvoir von Paris St. Germain kennt voller Selbstvertrauen nur ein Ziel: den Ball nach vorne spielen – zur Not auch durch Männerbeine hindurch.

Mancher wird sich fragen, was ein vor zweieinhalb Jahrtausenden gestorbener chinesischer General (Sun Tsu) in der Mannschaft sucht und wie ein Militarist überhaupt mit Bob Marley harmonieren kann, aber der Verkaufserfolg auf der britischen Insel scheint Perrymans Melange recht zu geben.

Die Elf ist dabei so genial zusammengesetzt, daß sie völlig ohne Ersatzspieler auszukommen scheint. Und doch könnte man sich hier und da eine Auswechslung vorstellen. Wo ist in der Verteidigung etwa ein richtiger Manndecker vom Format eines René Descartes („Ich decke, also bin ich“)? Fehlen im Mittelfeld nicht auch die naturwissenschaftlich geprägten Philosophen wie Aristoteles oder Leibniz, die im entscheidenden Augenblick die Bälle millimetergenau, quasi per Zirkel und Geodreieck geschlagen, verteilen können? Fast möchte man hoffen, daß Perryman schon wieder am Schreibtisch sitzt, um das nachzuholen.

Hirngespinste? Vorsicht. Haben nicht die Brasilianer schon vor Jahren auf einen Socrates gesetzt und sind gut damit gefahren? Karl Hübner

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