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Keine Angst vor Abrißkommandos

■ „Tolle Geste“ oder „absolute Dummheit“? Am Sonntag trifft der HSV im Millerntorstadion auf den FC St. Pauli – aus Sicherheitsgründen kein „Freundschaftsspiel“

Spötter behaupten, der FC St. Pauli wolle mit dem Spiel gegen den HSV seinen Stadionneubau kostengünstig angehen. Denn als die beiden Mannschaften 1991/92 zuletzt am Millerntor aufeinandertrafen, konnte man tatsächlich den Eindruck gewinnen, als tummelte sich ein Abrißkommando auf den Traversen. Abgefeuerte Leuchtmunition aus der Südkurve und ähnliche Scharmützel ließen die Begegnung (2:1 für den HSV) mehrmals kurz vor dem Abbruch stehen.

Am Sonntag kommt es anläßlich des 50.Geburtstages des Hamburger Abendblatts wieder zu einem Lokalderby am Millerntor – aber diesmal für einen guten Zweck: Zwei Mark pro verkaufter Eintrittskarte gehen an den Abendblatt-Verein Kinder helfen Kindern, der diese Summe an die Fan-Projekte beider Vereine weiterleitet.

Eine „absolute Dummheit“ sei das Treffen am Heiligengeistfeld dennoch, befand das Sport Mikrofon: „Jegliche Einnahmen oder Erkenntnisse stehen in keinem Verhältnis zum Sicherheitsrisiko für Fans und Spieler.“ Das Fachblatt befürchtet, HSV-Hooligans wollten diesmal einen Spielabbruch erzwingen, wohingegen die gewaltfreudigen St. Paulianer vor dem Stadion lauerten.

„Wenn man solche Befürchtungen hätte, dann würde man dieses Spiel nicht durchführen können“, meint dagegen Dieter Bänisch, Geschäftsführer des Vereins Jugend und Sport (VJuS), dem Dach der Fan-Projekte von St. Pauli und HSV. Die Arbeit des VJuS mit Fans auch aus „nicht ganz so problemfreien Gruppierungen“ habe Früchte getragen. Unter den rivalisierenden Fans habe die „nette und tolle Geste“ des Spiels für den guten Zweck „eine Menge Freude losgetreten“. Auch Hendrik Lüttmer, Fan-Beauftragter des FC St. Pauli, vermutet, daß die Begegnung „angesichts der Polizeipräsenz nicht ohne Vorkommnisse, aber doch ziemlich ruhig“ verlaufen wird.

Einzelne Blöcke im Stadion bleiben einem erhöhten Polizeiaufgebot vorbehalten, auf den restlichen Plätzen sollen die erwarteten ca. 15.000 Besucher säuberlich getrennt in Südkurve (HSV-Fans), Gegengerade (St. Pauli-Fans) und Nordkurve (Familien mit Kindern) stehen. Einen „Sicherheitstrakt, wie beim Rostock-Spiel“ erwartet dementsprechend Michael Trost vom St. Pauli-Fanzine Unhaltbar!, den es allenfalls „mit ungutem Gefühl“ ins Stadion zieht. „Auf ein Freundschaftsspiel“, resümiert Trost, „sollte man sich auch freuen können.“

Doch hier irrt der Fanzine-Redakteur, zumindest nach Auffassung der Verantwortlichen. Denn laut den ausgegebenen „Kommunikationsrichtlinien“ ist das Derby gar kein „Freundschafts“, sondern ein „Benefizspiel“. Hochsensible Begründung: „Teile der Fangruppen fassen das Wort ,Freundschaft' im Zusammenhang mit einem rivalisierenden Verein als Provokation auf.“

Neben solch vorgeblich präventiver Rhetorik stehen Projekte, die sich tatsächlich um Verständigung zwischen den Fan-Gruppen bemühen. Der warme Regen von „Kinder helfen Kindern“ wird in größere Aktionen des VJuS fließen. Aktuell organisieren die beiden Projekte von St. Pauli und HSV beispielsweise U 16-Busse, mit denen jugendliche Fans – bei Alkohol- und Nikotinverbot – „betreut“ zu den näher gelegenen Auswärtsspielen ihrer Elf fahren können. Im vorigen Oktober reiste eine aus HSV- und St. Pauli-Fans gemischte Jugendgruppe mit vier VJuS-Mitarbeitern zur WM-Einstimmung nach Bordeaux – ein Trip, den Hendrik Lüttmer als „großen Erfolg“ wertet: „Solche Aktionen können gerade den jüngeren Fans zeigen, daß ihre Pendants der anderen Seite gar nicht so anders sind als sie selbst.“

Vorbehaltlich der behördlichen Genehmigung soll nach dem Spiel eine Demonstration „gegen Hooligans, Rechtsradikalismus und Rassismus in allen Bundesliga-Stadien“ die Veranstaltung abrunden.

Folke Havekost

FC St. Pauli – Hamburger SV, Sonntag, 18 Uhr, Millerntor

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