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Kiffer, Künstler und Kleinfamilien

Das Kreuzberger Prinzenbad ist eine grüne Oase inmitten der Großstadt. Auf dem Gelände einer ehemaligen Gasanstalt spiegelt sich das multikulturelle Leben des Bezirks. Die Beliebtheit des „Prinzen“ ist ungebrochen, auch wenn Mitarbeiter jahrelang Eintrittsgelder veruntreuten  ■ Von Plutonia Plarre

Die Füße gegen die Brüstung des Wachturms gestemmmt, sitzt Bademeister Simon K. auf dem Turm im Kreuzberger Prinzenbad und wacht über sein Reich. Unablässig wandern seine Augen vom Sportbecken über das Nichtschwimmer- zum Mehrzweckenbecken und wieder zurück. An brüllend heißen Tagen wie diesen ist es unmöglich, den Überblick zu bewahren. Unzählige Köpfe tanzen wie kleine schwarze Punkte auf dem Wasser. Die Begeisterung über das kühle Naß macht sich in ohrenbetäubendem Schreien und Kreischen Luft. Dem 30jährigen, leicht beleibten Bademeister mit verkehrt aufgesetzer Baseballkappe ist nicht gerade zum Lachen zumute. Der Job in der prallen Sonne hat es in sich. Zum x-tenmal ergreift er an diesem Tag das Mikrofon, um ein paar Jugendliche zur Räson zu bringen. Wenn es hart auf hart kommt, muß Simon K. runter von seinem Thron. Von der harmlosen Rangelei über Massenschlägereien und Messerstechereien mit Toten bis hin zu Polizeirazzien – es gibt fast nichts, was der Mann mit dem blonden Pferdeschwanz in seiner elfjährigen Dienstzeit im „Prinzen“ nicht schon erlebt hätte. „Man muß ein bißchen pervers und bekloppt sein, um das hier freiwillig zu machen“ sagte er. Sein Kapital ist, daß er seine Pappenheimer genau kennt, weil er „einheimischer Kreuzberger“ ist: „Ich bin selbst ein Ghettokid. Mein Vater war Alkoholiker, meine Mutter Sozialhilfempfängerin.“ Im „Prinzen“ verkehrt er von Kindesbeinen an: „Als Baby hab ich ins Wasser reingeschissen. Jetzt hole ich die Scheiße raus.“

Das mitten in der Stadt gelegene, durch die Hochbahn verkehrsmäßig ausgesprochen günstig angebundene „Prinzen“ ist Berlins am besten besuchtes Sommerbad. An Hitzetagen tummeln sich hier bis zu 20.000 Menschen, im Supersommer 1992 wurden 700.000 Gäste gezählt.

Vor kurzem hat das Bad allerdings aus anderen Gründen Schlagzeilen gemacht: 12 von ingesamt 22 Mitarbeitern sind von den Berliner Bäder-Betrieben (BBB) fristlos gefeuert worden, weil sie im Verdacht des Betruges und der Unterschlagung von Eintrittsgeldern stehen. Die Schätzungen der Kripo belaufen sich auf mehrere hundertausend Mark.

Die an den Becken im Schichtdienst Aufsicht führenden zehn Bademeister haben mit den krummen Geschäften der Badewärter und Kassierer nichts zu tun. Daß sie vom Publikum trotzdem mit den anderen über einen Kamm geschoren werden, versucht Simon K. gelassen zu nehmen. „Besser, man wird als Betrüger beschimpft, als von manchen Bengeln als Nazi“, sagt er.

Die Fangemeinde des Bades ist groß. „Das Prinzen ist das schönste und intessanteste Freibad der Stadt“, ist man sich einig. Das Multikultibad hat für jeden etwas zu bieten: Hier treffen sich die Studis und Azubis, die Proletarier und Vegetarier, Arbeitslose, Alkis, Kiffer und Frührenter. Künstler genauso wie ganze Kinderläden und Karatekids, Streetgangs, Kleinfamilien, Wohngemeinschaften, einsame Psychotiker, Autonome und Szenearistokratiker. Die sportbegeisterten Stammkunden, die allmorgendlich in dem besonders kühlen Sportbecken ihre 20 Bahnen ziehen, schwärmen von „der grünen Oase in der Großstadt“. Als besonders schön empfinden sie, daß die Wasseroberfläche nicht abgesenkt ist. Ein 38jähriger Bildhauer, der seit 15 Jahren kommt, fühlt sich dadurch beim Schwimmen „wie auf einem „fliegenden Teppich“.

In der Cafeteria, die seit 34 Jahren von einer ausgesprochen beliebten, stets freundlichen Pächterin betrieben wird, gibt es nicht nur Pommes und Buletten, sondern auch Gemüse, Jogurt und Müsli – und aufgeschäumten Milchkaffee, der in Steinguttassen „statt in ollen Plastikbechern“ serviert wird, wie sich eine 36jährige Schauspielerin begeistert. Das Bad wurde 1956 auf dem Gelände der ersten Berliner Gasanstalt errichtet, die 1826 von König Friedrich Wilhelm III. zu dem Zweck in Betrieb genommen worden war, die Gaslampen der Prachtsraße Unter den Linden zu versorgen. 1978 wurden große Bodenverunreinigungen festgestellt. 300.000 Kubikmeter verunreinigtes Erdreich mußten ausgetauscht und vier Millionen Kubikliter Grundwasser abgepumpt werden. Trotzdem konte das Bad ein Jahr später wieder aufmachen. 1984 wurden die Gebäude und Becken grundlegend saniert oder neugebaut. 1989 wurde die Solaranlage zur Beheizung des Sportbeckens und zum Vorwärmen der Duschen installiert.

Die Pächterin der Cafeteria kennt noch die Zeiten, als die Berliner Ringvereine ins Prinzen kamen. Auch die Kinder der ersten türkischen Einwanderer hat sie vor ihrem Tresen aufwachsen sehen. Aus dem typischen Kreuzberger Arbeiterbezirk ist ein multikultureller Bezirk geworden. Das ist im Prinzen überall zu spüren. Russische Studentinnen der Volkswirtschaft liegen in Bikinis neben türkischen Müttern mit Kopftüchern, die Fladenbrote dick mit Butter bestreichen. In der Ecke liegen die Kurden und lassen es sich bei Kartenspielen wohl sein. Hinten am Bretterzaun kicken arabische Jugendliche. Eine deutsche Patentante hat ihren dunkelhäutigen Nichten aus Sambia Zuckerwatte spendiert. Der elfjährigen Tangara gefällt es im Prinzen tausendmal besser als im Freibad Pankow. Dort wurde die Afrikanerin unlängst mit ihren Freundinnen von zwei deutschen Männern mit einer Banane und der Aufforderung „Friß!“ bedrängt. Als endlich ein Besucher einschritt, sagten die Männer: „Haben Sie nicht den Artikel über die Afrikaner gelesen, die muß man doch füttern.“

Im Prinzen kann man Liebespärchen in fast allen Stellungen sehen. Heteros genauso wie Homos. Auf einer eigens ausgewiesenen Wiese befindet sich sogar ein FKK-Bereich. Der Bretterzaun, der die Nudisten von dem Rest des Badevolks trennt, wurde erst vor einem Jahr von den BBB errichtet. Die Maßnahme wurde damit begründet, die Nackten machten sich zu breit, außerdem habe es zunehmend Beschwerden gegeben. Ein 56jähriger Diplomingenieur im Ruhestand und FKK-Fan ärgert sich jeden Tag über die Wand. „Früher“,sagte er, „konnte der Blick schweifen. Ein Zaun schafft Grenzen und macht neugierig“. Früher konnte man im FFK-Bereich die Kleider anlassen, heute muß man sich ausziehen, schimpft seine Freundin. Darüber wache der Wachschutz. Ein 21jähriger Türke, der den Bäder-Betrieben angehört und als einziger angezogen im Schatten auf der FFK-Wiese sitzt, bestätigt freundlich, daß er den Auftrag habe, die Spanner fernzuhalten. „Wer angezogen dasitzt und guckt, wird weggeschickt“, sagt er.

Die Stimme von Bademeister Simon K. dringt bis in den hintersten Winkel. „Hört auf, von den Seiten reinzuspringen“, knattert es durch die Lautsprecher. „Einmal haben wir mitgezählt und sind auf 3.000 Durchsagen gekommen“, sagt der Mann. Im Bad gebe es „ungeheuer viel“ sexuelle Belästigungen und Diebstähle. Die meisten Probleme bereiteten zur Zeit die Russen, Kroaten und Polen.

Wutentbrannte Drohungen machen wenig Eindruck auf Simon K. Anders war es aber, als er vor Jahren zu Hause von einer türkischen Gang Besuch bekam. Danach ist er umgezogen und hat sich eine Geheimnummer zugelegt. Aber arbeiten möchte er trotzdem in keinem anderen Freibad. „Ich brauche die Aktion und will gefordert werden.“ Im Winter, wenn er im Hallenbad Dienst schieben muß, habe er immer das Gefühl, „daß die Zeit stehengeblieben ist“.

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