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Nichts anderes als ein steifes Stück Fleisch

Vom Zwang zum Waschbrettbauch, dem Terror der Dienstleistung und anderen Dramen: Tom DiCillos „Echt blond“ ist eine Komödie ohne großes Tempo – und dennoch ein gelungener Film über das Scheitern im Showgeschäft, wo alle hoffen und jeder kellnert  ■ Von Cristina Nord

Schon der Titel macht es deutlich: Gerne wäre „Echt blond“ eine Komödie geworden. Regisseur und Drehbuchautor Tom DiCillo, dem mit seinem Erstling „Living in Oblivion“ eine schöne Satire aufs Filmemachen gelungen ist, wagt ein weiteres Mal den Blick in die Scheinwelt des Showbusiness, selbstverständlich auf der Suche nach Tempo, Sprachwitz und Leichtigkeit. Das gattungstypische Happy-End ist den Figuren denn auch vergönnt, doch sonst bleibt ihnen nichts erspart. Was sie einstecken, übersteigt den Rahmen der Komödie, und so verfehlt „Echt blond“ zwar das selbstgewählte Ziel, entwickelt aber ganz andere, vielleicht ganz unbeabsichtigte Stärken.

Im Mittelpunkt stehen zwei Thirtysomethings: Mary (Catherine Keener), erfolgreich als Kostüm- und Maskenbildnerin für eine Starfotografin tätig, und Joe (Matthew Modine), erfolglos als Schauspieler, im Brotberuf als Aushilfskellner beschäftigt. Seit Jahren sind die beiden mit den brav presbyterianisch-biblischen Namen ein Paar, und es ist nicht allein der Sex, mit dem es nicht mehr klappen will. Vor allem Joes Streben nach einem ernstzunehmenden Engagement belastet die Beziehung, bewegt es sich doch hart an der Grenze zum Selbstbetrug, und das mag die pragmatisch veranlagte Mary nicht immer hinnehmen.

Kontrastiert wird das Paar durch den Schwerenöter Bob (Maxwell Caulfield), einen Freund Joes. Bob, wie Joe zunächst als Kellner tätig, verkauft sein hübsches Gesicht an die Produzenten einer Seifenoper. Joe sträubt sich anfangs gegen einen solchen Pakt mit dem Teufel; später ist er froh, wenn er einen winzigen Part in einem Madonna-Video bekommt. Natürlich haben die beiden weiterreichende Ambitionen. Für Bob ist es Shakespeare, den er gerne deklamiert, um eine seiner Geliebten zu beeindrucken; für Joe ist es die Hauptrolle in Millers „Tod eines Handlungsreisenden“, einem Stück, das wie kein zweites die enge Verwandschaft von amerikanischem Traum und amerikanischer Tragödie illustriert.

Wir sind also mittendrin im Frust über unerreichte Ziele, im Drama des nächsten Mietzinses und im Krieg der Geschlechter. Daß lange Aufsichten auf Manhattan – bei Tag, bei Nacht, im Morgengrauen – sich aufdrängen: geschenkt. Daß es an Tempo mangelt: vergessen. Denn auch wenn die glückliche Schlußvolte etwas anderes suggeriert, pflegt „Echt blond“ einen sehr genauen Blick auf das private wie berufliche Scheitern, das zu den späten 90ern gehört wie die Aufbruchstimmung zum Beginn der Dekade.

DiCillo zeigt, wie sehr einer wie Joe zur Selbstpreisgabe und zur Würdelosigkeit gezwungen wird. Als Kellner im Zeitvertragselend der Dienstleistungsgesellschaft gefangen, darf er sich nicht den kleinsten Fehler erlauben, und beim Vorsprechen um eine Rolle muß er die Beleidigungen aus dem Mund der mächtigen Agentin über sich ergehen lassen, ohne auch nur einmal das Wort gegen sie erheben zu dürfen. Joe trägt seine Arbeitskraft so schutzlos zu Markte, als lebte er in den Zeiten des Manchester-Kapitalismus. Und nicht nur seine Arbeitskraft, auch sein Fleisch.

An dieser Stelle versucht sich DiCillo in etwas, was gar nicht so einfach geht: die Verschiebungen im Geschlechterverhältnis nachzeichnen, ohne dem so larmoyanten wie reflexhaften Gerede mancher Feminismuskritiker zu verfallen. Wenn Joes Agentin auf dessen Bauchmuskulatur blickt, als wäre sie Agent und Joes Bauch die Brust einer Nachwuchsschauspielerin, dann wird sehr deutlich, wie mittlerweile auch der Männerkörper als Objekt gehandelt wird. Nicht Fähigkeit, nicht Begabung entscheiden über Erfolg und Mißerfolg, sondern ein wohlgeformter Hintern: eine zweifelhafte Gleichberechtigung. Wenn Bob nach einem gescheiterten Beischlafversuch die mißvergnügt dreinschauende Geliebte fragt, ob er denn nichts als ein steifes Stück Fleisch für sie sei, und sie als Antwort gibt: „Nun, steif würde ich nicht sagen“, dann zeigt sich neben der Pointe, welche Schwierigkeiten entstehen, wenn sexuelle Initiative Frauensache wird.

Erstaunlich dabei ist, daß DiCillo die Unsicherheiten der Männer beschreibt, ohne deswegen die Ansprüche der Frauen – auf Gleichberechtigung, sexuelle Selbstbestimmung, beruflichen Erfolg – in Zweifel zu ziehen oder den Schritt zurück in alte Verhältnisse zu predigen. An die Stelle des Selbstmitleids tritt eine fast unparteiische Darstellung der Konfliktlinien. Darin – und im leichtfüßigen Sezieren des Dienstleistungsdogmas – liegen die Stärken des Films, angesichts derer der etwas debile Titel schnell verziehen ist.

„Echt blond“, Buch & Regie: Tom DiCillo, mit Matthew Modine, Catherine Keener, Maxwell Caulfield, Elizabeth Berkley, Darryl Hannah, Kathleen Turner, u.a., USA 1997, 105 Min.

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