: Heiteres Sterben der Haute Couture
Was die Mode dieses Jahrtausends gewesen sein wird, ist bei den diesjährigen Haute-Couture-Schauen in Paris zu bestaunen. 24 Modemacher zeigten strikt handgefertigte Einzelstücke – Roben, Kleider und Mäntel, die sich nicht mehr als 300 Frauen weltweit für den Herbst und den Winter des kommenden Jahres 1999 leisten mögen.
Es ging um eine Kunst, besser: Die große Schneiderkunst, die nicht nur eine Kunst des Entwerfens und Zuschneidens ist, sondern vor allem eine Kunst des Nähens. Also eine Kunst der ungenannten Näherinnen, deren Zahl von Jahr zu Jahr kleiner wird, weil man tatsächlich immer weniger von ihnen braucht. Insofern ist die Haute Couture, so sehr man es bedauern mag, eine sterbende Kunst.
Da hilft es auch nicht, daß der US-TV-Sender ABC Mitte voriger Woche zur besten Sendezeit eine zweistündige Sendung über die Schauen ausstrahlte. Und da hilft es nicht, daß mit dem Franzosen Christophe Roxel und dem Italo-Brasilianer Ocimar Versolato zwei Newcomer mitmischen. Versolato zeigte eisgraue Hosenanzüge, Ensembles im Japan-Look und knielange enge Röcke mit glitzernden Oberteilen. Taft, Wollseide, Crêpe und Samt sind seine bevorzugten Materialien. „Ich schaue in die Zukunft“, meint der neue Meister, „das ist es, was die Haute Couture nötig hat.“
Er irrt sich. Was das gigantische Zuschußunternehmen – zu dem die Haute-Couture-Shows als Vorspiel zu den Prêt-à-porter-Schauen degeneriert sind – nötig hat, sind Frauen, die sich die Einzelanfertigungen leisten möchten. Nicht, daß es ihnen am Geld fehlte. Bei vielen von ihnen bedarf es dazu nicht einmal mehr des vermögenden Ehemannes. Sie besitzen, verwalten, verdienen dieses Vermögen selbst. Es fehlt am Interesse.
Die Mode, hat Roland Barthes einmal sinngemäß gesagt, ist ein Reservat, in dem die Spezies Frau erschaffen und gehegt wird. Doch am Ende dieses Jahrtausends ist diese Sorte Mensch ausgestorben. Nur einige Relikte haben noch Lust an jener Inszenierung, die der Erfindung der Frau als Objekt der Vorstellung huldigt. In diesem Sinne können sie vielleicht noch den Vorwand für die Haute Couture liefern, retten können sie sie nicht.
Wunderschön sieht sie allerdings aus, die Frau bei Alexander McQueen, der für Givenchy die traumhaftesten Kreationen entworfen und den Models die theatralischsten Federhauben auf den Kopf gesetzt hat. Vielleicht macht es auch der viele Pelz, daß sie so nach 19. Jahrhundert aussieht, die Frau am Ende des 20. Was übrigens Sinn macht, denn im vorigen Jahrhundert wurde sie erstmals entdeckt – die Frau im Modereservat.
Donatella Versace setzte dagegen ganz auf heute, auf hautenge Kleider und kurze Röcke. Besser: Sie tat es nur halb. Denn da waren die langen Abendkleider, die bei näherer Betrachtung hinten so kurz waren, daß man von einem Nichts sprechen könnte. Daß eine Zuschauerin angesichts dieses Teils spottete, „da verknittert der Rock wenigstens nicht, wenn man sich hinsetzt“, zeigt, wie groß weibliche Distanz zum pompösen Gehabe der Haute Couture mittlerweile ist. Antonia Gluck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen