: Verklärte Aufklärung
Lessing, Herder, Fichte, Goethe – will man den Freimaurern Glauben schenken, waren diese Dichter und Philosophen begeisterte Logenbrüder. Tatsächlich aber standen Deutschlands Kultur- und Bildungsschaffende den Maurern eher skeptisch gegenüber. Eine Enthüllungsgeschichte ■ von Volker Weidermann
Das zählt sich immer so locker auf: Goethe, Lessing, Herder, Wieland, Börne, Fichte, Forster, Bürger, Claudius... Man hat den Eindruck, alles, was im Geistesleben der deutschen Klassik, Aufklärung und Frühromantik einen Namen hat, gehörte fest dazu. Zu den Freimaurern. Noch heute, während ein aktuelles Mitgliederverzeichnis großer Namen als geheimstes Logengeheimnis gehütet wird, brüstet sich jede offizielle Freimaurerpublikation mit der vollständigen Auflistung der bedeutenden Exmitglieder. Ist deutsche Geistesgeschichte also als Freimaurergeschichte neu zu lesen? Freimaurerische Geheimgedanken überall?
Schaut man genauer hin, so war die Berührung der meisten Dichter und Denker mit den Freimaurern eher flüchtiger Natur. Auch wenn Johann Gottlieb Fichte eine „Philosophie der Maurerei“ zusammenschrieb, Lessing in seinen „Gesprächen für Freimaurer“ die philosophischen Grundzüge seines „Nathan“ vorwegnahm und Goethe in gelegentlichen „Logengedichten“ den Geheimgesellschaften schmeichelte: Keiner von ihnen war langfristig ernsthaftes Logenmitglied, keiner besuchte über einen längeren Zeitraum regelmäßig die geheimen Treffen – was zu den Grundbedingungen einer Logenmitgliedschaft zählt.
Wahr ist: Goethe war überhaupt nur viermal bei einer Sitzung. Bei seiner Aufnahme 1780, bei der Aufnahme seines Sohnes, bei Wielands Totenfeier und bei seinem fünfzigjährigen Beitrittsjubiläum. Gegenüber Dritten äußerte er sich spöttisch: Philipp Moritz fragte er, als er von dessen Logenbesuchen erfuhr: „Auch Sie können noch so schwach sein, da etwas zu suchen?“ Mitgliedschaft aus Schwäche: Man trat bei, um die Verbindungen zu nutzen, die die Freimaurerlogen versprachen.
Adlige und reiche Bürger, das aufstrebende und das alteingesessene Establishment bildeten den Stamm der Mitgliedschaft, und zwar mit großem Einfluß auf das Kulturleben der Zeit. Die Aufnahme in die Loge war oft Eintrittskarte in die heiligen Hallen der Hochkultur. Goethe nannte es im Nachhinein eine „Verrücktheit“, erste Kontakte zu Freimaurerkreisen – die er seiner Liaison mit Lili Schönemann verdankte – im Jahre 1775 nicht gleich genutzt zu haben. Ein übertriebenes Unabhängigkeitsgefühl sei das gewesen, grämte er sich später. „Diese Männer“ hätten seinen „Zwecken förderlich sein müssen“. Fünf Jahre später war auch er schwach genug, sich aufnehmen zu lassen.
Auch Gotthold Ephraim Lessing, von heutigen Freimaurern als Vorzeigelogist gepriesen und in der Logenvergangenheit geradezu kulthaft verehrt, war den Logenbrüdern zunächst eher wenig zugetan. 1751 hatte er einen Spottvers auf die Geheimnistuerei der Freimaurer unter dem Titel „Das Geheimnis“ veröffentlicht. „Das Geheimnis der Orden ists, kein Geheimnis zu haben.“ In späteren Sammlungen seiner Gedichte ließ er das vorsichtshalber nicht mehr drucken. Denn seit 1767 bemühte er sich um Aufnahme in die Hamburger Loge. Lange Zeit vergeblich. Der Großmeister meinte damals, seine Loge sei „zu langsam, um einem Geist vom Schlage Lessings gemäß sein zu können“.
In Wirklichkeit hatte die Hamburger Loge damals ihre Arbeit ganz eingestellt, doch die geheimnisvolle Ablehnung reizte Lessing nur noch mehr. Nachdem er 1771 erneut nicht reüssieren konnte, wollte er schon vor lauter Einsamkeit und dem drängenden Wunsch dazuzugehören seine eigene Loge gründen. Gleichzeitig begann er mit der Arbeit an seinen Freimaurergesprächen, in denen er sein Ideal der vorurteilsfreien, unbefangenen Gesellschaft von Gleichen im Maßstab eins zu eins auf die Gemeinschaft der Freimaurer projizierte: „Die wahren Taten der Freimaurer sind so groß, daß ganze Jahrhunderte vergehen können, ehe man sagen kann: das haben sie getan! – Gleichwohl haben sie alles Gute getan, was noch in der Welt ist, – Und fahren fort, an allem Guten zu arbeiten, was noch in der Welt werden wird.“
Doch wer Allergrößtes erwartet, wird von der Wirklichkeit enttäuscht: Als Lessing endlich in einer anderen Hamburger Loge aufgenommen wurde, erfüllten sich seine hochgesteckten Erwartungen nicht. Die letzten beiden Folgen seiner Freimaurergespräche, die er nach seiner Aufnahme schrieb, kommen einer beißenden Kritik gleich an kleinkarierten Logenkämpfen, an Geldgier, Privilegiensucht und an der Nichtaufnahme von Juden und Handwerkern in die Logen. Die Freimaurer waren für Lessing eine Traumgesellschaft, in die er sein Ideal nur so lange hineinträumen konnte, wie er sie nicht wirklich kennenzulernen vermochte.
Da sah Johann Gottlieb Fichte von Anfang an klarer: Er wußte wohl, daß die Freimaurer keine ideale Gemeinschaft waren, glaubte aber, sie zu einer „Kampfgemeinschaft“ auf dem Wege zur idealen Gesellschaft nutzen zu können. „In unserem durch Luxus und Sklaverei zum Verderben gebrachten Zeitalter“, schrieb er, brauche man eine Gesellschaft, die den Samen des Guten in sich trage: die Freimaurer. Zwar „nicht in ihrer gegenwärtigen Verfassung“, aber ihre „schon autorisierte Hülle“ lasse sich nutzen.
Und Fichte ging entschlossen vor: Schon nach wenigen Logenbesuchen versuchte er den Großmeister Ignaz Aurelius Feßler auszustechen, um die Loge in seinem Sinne zu formen. Doch die Maurer entschieden sich gegen Fichte und für Feßler. Der Philosoph mußte gekränkt die Loge verlassen. Das Ende ist bekannt. Fichte verlegte seine Erziehungswünsche zum „absoluten Vernunftstaat“ gleich auf die deutsche Nation – ohne weitere Umwege über die Freimaurerei.
Jedenfalls ist er nicht zu finden, der überzeugte Freimaurer in der deutschen Kulturgeschichte. Auch ein Johann Gottfried Herder, der in seiner Rigaer Zeit als Logensekretär engste Kontakte zu Freimaurern pflegte, schrieb später: „Ich hasse alle geheimen Gesellschaften auf den Tod und wünsche sie, nach den Erfahrungen, die ich in ihnen gemacht habe, zum Teufel; denn der schlechteste Menschen-, Betrugs- und Kabalengeist ists, der hinter ihrer Decke kriecht.“
Die Mitgliedschaft in einem Orden war für die meisten von Anfang an nur Mittel zu einem höheren, also persönlichen Zweck. Man wollte die Loge nutzen als Vehikel zum gesellschaftlichen Aufstieg, als Forum zur Verbreitung der eigenen Gedanken und Ziele, als gemütliches Gemeinschaftsprojekt und – dies spielte gerade auch für viele Aufklärer wie Lessing und den Weltumsegler und Dichter Georg Forster eine große Rolle – die Hoffnung auf eine Ersatzkirche, eine säkulare Religion in einer von den eigenen aufklärerischen Gedanken ernüchterten Welt.
Das Geheimnisvolle der Logen ließ eine beliebige Zahl an Wunschprojektionen zu. Doch nachdem man ordentliches Vereinsmitglied geworden war und das Geheimnisvolle in seiner opulenten Profanität direkt spüren konnte, erwiesen sich die Logen als – starrer, gelangweilter Klub von Männern.
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