: Ende der Froschperspektive
■ Die Oldenburger Uni hat eine neues Hörsaal-Gebäude / Tagsüber büffeln die Studis zwischen verschiebbaren Wänden, abends tobt (in Bälde) der Unterhaltungskommerz
Seit Beginn des Sommersemesters am 15. April genießen einige Studis der Oldenburger Carl von Ossietzky-Universität das ungewohnte Privileg, ihrer Veranstaltung mal nicht mehr nur aus der Froschperspektive vom Fußboden aus folgen zu müssen.
Das neue Hörsaalzentrum am Uhlhornsweg wurde jetzt in Betrieb genommen – und nun können bis zu 1.000 StudentInnen gleichzeitig die Gastvorlesung des Philosophen Jürgen Habermas life in Oldenburg verfolgen. Wegen des an deutschen Hochschulen bislang einmaligen Konzepts stehen in dem Hörsaalhaus neben sechs Seminar- und Gruppenräumen sowie einem Sitzungsraum vor allem drei neue Hörsäle mit 470, 260 und 200 Plätzen zur Verfügung, die mit Hilfe mobiler Trennwände auch zu einem gewaltigen Audimax kombiniert werden können. Insgesamt stehen der Universität mit dem etwa 24 Millionen Mark teuren Neubau jetzt zusätzlich 2.240 m Nutzfläche zur Verfügung.
Die Erweiterung war notwendig geworden, weil wegen ständig steigender StudentInnenzahlen in den Neunziger Jahren vor allem ein Hörsaal für Massenveranstaltungen fehlte.
Als weithin sichtbarer Anlaufpunkt und integrativer Mittelpunkt der Anlage dient ein 12,60 m hohes lichtdurchflutetes Foyer; ein ruhiger und gelassen wirkender Raum, der Innen und Außen mühelos verbindet und den BesucherInnen eine ziemlich klare Orientierung ermöglicht. Ein modernes Hörsaalzentrum sei zwar kein antikes Amphitheater, wo Zuschauerränge die natürliche Topografie der vorhandenen Umgebung ausnutzten, findet der Architekt Meinhard von Gerkan, aber der in Oldenburg verwirklichten Kreisform des Gebäudes traut er schon zu, daß die Kommilitonen selbst im Massenbetrieb Uni zwanglos zueinander finden.
Von Gerkan und Volkwin Marg mit ihrem Hamburger Architektenbüro waren aus dem schon 1991 ausgelobten Wettbewerb als Sieger hervorgegangen. Bundesweite Beachtung hatten sie zuvor mit dem 1996 fertiggestellten, spektakulären Bau der neuen Messehallen in Leipzig gefunden sowie mit ihrem Entwurf für die Neugestaltung des Stuttgarter Hauptbahnhofs.
Schon ein kurzer Blick auf die recht feudale Garderobe, von den am Oldenburger Hörsaalbau beschäftigten Arbeitern vor kurzem noch wenig liebevoll als „Friedhof“ bezeichnet, läßt erahnen, daß das neue Raumangebot nicht allein den hier Studierenden zugute kommen soll. Alternativ zur alten Aula strebt man hier zugleich auch eine kommerzielle Nutzung der Uni an: Mit Konzerten, Filmvorführungen, Theaterveranstaltungen und Kongressen könnten die Räumlichkeiten bis tief in die Nacht belebt sein. Für auswärtige Gäste werden demnächst sogar entsprechende Schlafgelegenheiten zur Verfügung stehen, denn das Konzept des direkt gegenüber geplanten Dienstleistungszentrums sieht neben verschiedenen Öko-Läden und einem Copy-Shop auch Hotelzimmer vor.
Klingt eigentlich wunderbar, allein: Die hiesigen StudentInnen werden von derlei Angeboten sicherlich weniger profitieren. Während der regulären Veranstaltungszeiten bleiben Café und Garderobe verschlossen. Gemach – sie sollen ja auch studieren und nicht in Cafés abhängen. Außerdem tröstet ein Blick nach oben: Immerhin, die neue Rauminstallation von Detlef Kappeler ist rund um die Uhr und für jedermann/frau zu goutieren. Seine an zwei Stahlseilen befestigte abstrakte Figur aus Stahlprofilen, Holzplatten und Farbpigmenten steht in scharfem Kontrast zur Architektur und scheint dabei regelrecht durch das weitläufige Foyer zu schweben. Der Künstler ersetzt mit dieser Arbeit seinen Carl von Ossietzky-Raum im Mensa-Bereich, in dem z.B. Eisenbahnschienen die KZ-Transporte nach Esterwegen in Erinnerung riefen. Um jedoch zumindest noch Bezüge zum alten Ossietzky-Raum zu sichern, hat Kappeler zwei seiner Ossietzky-Bilder ins neue Hörsaalzentrum „hinübergerettet“ und in die neue Installation integriert.
In der Absicht, die komplexe bauliche Situation am Uhlhornsweg zu bändigen, haben die Architekten das neue Hörsaalzentrum in Oldenburg durch geometrische Grundformen gegliedert. Nach Norden hin schließt die zentrale Kreisform durch einen orthogonalen Seitenflügel an die kaum niedrigere Bebauung der Ammerländer Heerstraße an, in entgegengesetzter Richtung führt eine Brücke zum ehemaligen Aufbau- und Verfügungszentrum (AVZ). Ein erhellender Bezugspunkt übrigens, denn obgleich der Neubau mit seinem einheitlichen Gebäude-Kleid aus Stein, Beton, Glas und Putz bisweilen schon etwas provokant daherkommt, so reicht doch ein kurzer vergleichender Blick auf das unsägliche „Verfügungs-Gebilde“ nebenan, um die ganze Stärke des jetzt vorgestellten Baus wahrzunehmen. Statt einer dunklen und unübersichtlichen Betonburg haben die Architekten mit dem neuen Hörsaalzentrum ein transparentes Gebäude geschaffen, das auch die traditionell skeptischen StudentInnen ziemlich überwältigte. Die Reaktion auf das Hörsaalzentrum nach zwei Monaten fällt nach einer nichtrepräsentativen Umfrage mehrheitlich positiv aus. Und wäre da nicht inzwischen die Kritik des AStA, der das „neue Wahrzeichen“ der Universität an einigen Stellen als wenig behindertengerecht ausweist, dann könnte man glatt ins Schwärmen geraten. Aber was noch nicht ist, kann ja schließlich noch werden...
Robert Uhde
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