: Das Englisch der Jedi-Ritter
Passiv Sprachen lernen – Traum der Faulen und Zeitknappen. Zum Beispiel im Kino. Sich von Filmen in Originalsprache berieseln zu lassen, schult Hörverständnis und passives Sprachvermögen. Allerdings nur dann, wenn man schon Grundkenntnisse hat ■ Von Lennart Paul
Ein Blick zu den Nachbarn, in Richtung Norden zum Beispiel. In Kopenhagen sitzen Kenneth, Kim und Steen vor dem Fernseher. „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ läuft, und die drei Jungen erfahren, was Darth Vader dem Kommandeur des Todessterns zu sagen hat. „The Emperor is not as forgiving as I am“, hören sie. Die Originalversion wird gezeigt, wie fast immer im dänischen Fernsehen. Nur Kinderfilme laufen dort in synchronisierter Version.
Steen ist sieben Jahre alt. Die schnell wechselnden dänischen Untertitel kann er noch nicht lesen. Aber er versteht trotzdem, was passiert. Und manches erklären ihm seine älteren Brüder. Kim ist zwölf. Er liest die Schrift mit – automatisch passiere das, sagt er. Und da er seit einigen Jahren auch Englischunterricht hat, könnte Kim der Handlung auch ohne Untertitel gut folgen.
Kenneth, der älteste, spricht mit seinen 15 Jahren verblüffend gut Englisch. Sein Wortschatz ist groß, er muß nicht mehr überlegen, bevor er antwortet. Am frappierendsten ist aber seine Aussprache. Nahezu akzentfrei, keine kehligen dänischen Laute tauchen auf. Manchmal läßt sich dafür ein leichter amerikanischer Einschlag heraushören, obwohl Kenneth noch nie in den USA war. Der Junge hat ein gutes Gehör für Sprachen. Vielleicht hat ihm auch das Fernsehen geholfen. Schließlich sieht er gerne fern. Und täglich sind es vor allem die amerikanischen Serien, die ihn locken.
Passiv Sprachen lernen: Davon träumen die Faulen und Zeitknappen, die Pragmatiker und die Vergeßlichen gleichermaßen. Eine Nacht schlafen und Kantonesisch in Wort und Schrift beherrschen – welch hübsche Utopie. Jede Menge Kinofilme sehen und dabei seine Fremdsprachenkenntnisse verbessern, das hört sich ähnlich angenehm an und klingt realistischer.
Heidrun Schmitz glaubt an die Lehrkraft der Originalfassungen. Sie ist an diesem Abend nicht nur zum Spaß zum Schöneberger Kino „Odeon“ gefahren, um sich dort „Boogie Nights“ anzusehen. Im Sommer wird die Jurastudentin für ein halbes Jahr nach England gehen. „Aber leider habe ich keine Zeit mehr, vorher einen Sprachkurs zu machen“, sagt sie. „Der Weg ins Kino ist für mich ein Ersatz.“
Einmal pro Woche geht sie ins Kino, seit Jahren schon. In den vergangenen Monaten aber hat sie es sich verboten, synchronisierte Fassungen zu sehen. Und sie ist sich sicher, daß ihr Wortschatz dank der Originalfassungen wieder wächst: „Ich könnte jetzt keine fünf Vokabeln aufzählen, die ich durch Filme gelernt habe. Aber Wörter aus dem Schulunterricht, die ich längst vergessen hatte, kommen wieder ins Gedächtnis zurück.“
Peter Klaus, Französischlektor und Dozent für frankokanadische Literatur an der Freien Universität, empfiehlt Filme zum Verbessern der Sprachkenntnisse nur, wenn schon ein Hörverständnis vorhanden ist: „Dann können sie genauso wie fremdsprachige Nachrichtensendungen das Hörverständnis fantastisch trainieren.“ Fehlten jedoch die Grundkenntnisse, seien vor allem Wortspiele problematisch. Dann brächten auch die Untertitel nichts mehr: „Die Schwierigkeit bei den Untertiteln ist, daß sie leider oft falsch übersetzen oder den Inhalt nur sehr verkürzt wiedergeben.“ Außerdem hat Peter Klaus die Erfahrung gemacht, daß passives Lernen auch eher das passive Sprachvermögen verbessert.
Oliver sieht das anders. Seit fünf Jahren arbeitet er im Kreuzberger „Videodrom“, einer der wenigen Berliner Videotheken, die die wachsende Nachfrage nach Filmen in Originalfassungen erfüllen. Oliver schätzt, daß von den 13.000 Leihkassetten im Videodrom rund 90 Prozent nicht synchronisiert sind. Früh machte Oliver die Erfahrung, daß das Fernsehen seine Fremdsprachenkenntnisse erweiterte: „Ich bin dicht an der holländischen Grenze aufgewachsen. Deshalb konnte ich im holländischen Fernsehen Filme in Originalfassung sehen. Das hat mir in jedem Fall beim Englischunterricht in der Schule geholfen.“ Vor allem habe sich das Hörverständnis der Fremdsprache verbessert, sagt Oliver. Aber er ist davon überzeugt: „Das Gucken von Originalfassungen hilft auch dabei, eine fremde Sprache zu sprechen – vor allem, wenn Filme deutsch untertitelt sind.“
Könnte es dann nicht schon kleinen Kindern nutzen, wenn im Hintergrund ständig der Fernseher liefe? Gisela Klann-Delius, Germanistin an der Freien Universität, beschäftigt sich damit, wie Kinder ihre Muttersprache lernen. Sie meldet Zweifel an: „Sie können Kindern alles Mögliche anbieten. Wenn die Kinder aber kognitiv nicht so weit sind, bringt das alles nichts.“
Allerdings gebe es eine holländische Studie, die die guten Fähigkeiten holländischer Kinder, englische Laute nachzuahmen, auch auf das Hören englischsprachiger Fernsehfilme zurückführe, so Klann-Delius. Bis zum sechsten Monat könnten Babys alle Laute imitieren und ahmten auch Geräusche aus dem Fernsehen nach: „Aber damit die Kinder eine Sprache lernen, muß der persönliche Kontakt hinzukommen.“
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