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Die Grenze – Rückblick auf ein deutsches Bauwerk

Kein Bauwerk geriet so sehr zum Symbol deutscher Nachkriegsgeschichte wie jene Mauer, die seit dem August 1961 zunächst mitten durch Berlin und bald darauf quer durch ganz Deutschland errichtet wurde. Die simple Rede von der „Mauer“ freilich erscheint heute als eine groteske Verharmlosung dessen, was dort mit deutscher Gründlichkeit von Jahr zu Jahr immer perfekter ausgebaut wurde.

Kein Bauwerk wurde denn auch nach der „Wende“ so schnell und so gründlich abgeräumt wie dieses System der ehemaligen „Grenzsicherungsanlagen“ der DDR. Zwar bemühen sich 25 Grenz(land)museen um deren Geschichte, doch nirgendwo sind die einstigen Grenzsperranlagen noch in ihrer originalen Monstrosität zu besichtigen. Begreifliche Zerstörungswut und danach erneut deutsche Gründlichkeit haben die architektonischen Zeugnisse eines Systems beseitigt, das selbst vor dem grob völkerrechtswidrigen Einsatz von Splitterminen nicht zurückschreckte.

So verblaßt mit dem Verschwinden der materialen Hinterlassenschaften einer verhaßten Geschichte auch die Erinnerung. Wo aber materiale Gegenständlichkeit als Voraussetzung von Erinnerung schwindet, bleiben einzig fotografisches Gedächtnis und Geschichtsschreibung: „Die Grenze – Ein deutsches Bauwerk“ von Jürgen Ritter und Peter J. Lapp kombiniert beide in eindrucksvoller Weise. 180 Fotografien, zusammengestellt von Jürgen Ritter, versammelt das Buch zu einer Chronik, die den Bogen spannt von der frühen „Zonengrenze“ und der innerdeutschen „Demarkationslinie“ der 50er Jahre bis zur Nacht vom 9. November 1989.

Peter Lapps Texte rekonstruieren mit Akribie das perfide ausgeklügelte System der DDR- Grenzanlagen – vielleicht etwas zu sehr aus der Perspektive des Regimes und seiner Architekten, aber auch mit Blick auf Einzelschicksale und das Leben der Grenzbevölkerung in Ost und West. Ein Kapitel über die „juristische und museale Aufarbeitung der Grenzgeschichte“ rundet den Band ab.

Erstmals 1952 war das Grenzgebiet vermittels der „Aktion Ungeziefer“ (!) von „feindlichen, verdächtigen und kriminellen Elementen gesäubert“ worden. Im Klartext: Schon 1952 hatte man rund 11.000 als „unzuverlässig“ eingestufte Grenzbewohner zwangsweise ins Innere der DDR deportiert – eine Politik, die auch nach dem Bau der Mauer gnadenlos fortgesetzt wurde.

Diese Grenze, so heißt es an einer Stelle des Buches, glich einem „tödlichen Schnitt“, der Landschaften „entstellte wie eine breite Narbe ein liebliches Gesicht“. Sie war, wie die Autoren feststellen, ein durchaus „häßliches Bauwerk“. Und doch wird in den Fotografien des Buches auch die zwiespältige Faszination greifbar, die von dem Niemandsland, das sie hervorbrachte, einmal ausging: Die Ästhetik verlassener Orte, von Straßen und Schienen, die im Nichts endeten, von Wegen, auf denen niemand mehr ging.

Von dieser Grenze, die historisch gewachsene Regionen, Städte und Dörfer, selbst einzelne Häuser zerschnitt, ist nichts mehr zu sehen. Geblieben ist jene unsichtbare Grenze lebensgeschichtlich geprägter Erfahrungen, die wohl auf lange Zeit die Geschicke Deutschlands bestimmen wird, ohne noch sichtbare Spuren im fotografischen Gedächtnis seiner Geschichte zu hinterlassen. Werner Trapp

Jürgen Ritter, Peter Joachim Lapp: „Die Grenze. Ein deutsches Bauwerk“. Ch. Links Verlag, Berlin 1997, 176 S. mit 177 Abb., 68 Mark. Das Foto entstammt dem besprochenen Band.

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