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Entdecke den wahren Osten!

■ Nicht nur die Burgen und Schlösser, sondern die Ostler. Doch deren Reize bleiben den Westlern verborgen, die die alte DDR vermissen

Denkt der Westler an Tourismus im Osten, macht er es sich leicht. Er lehnt sich zurück und sagt, er kenne den Osten. Spreewald und Gurken, Eberswalde und Würstchen, Weimar und Goethe. Dann ist erst einmal die Luft raus. Vielleicht fallen ihm noch die Semperoper in Dresden und das Gewandhaus und die Nikolaikirche in Leipzig ein. Ostsee, Hiddensee und Erzgebirge sowieso. Der Osten im Westen nichts Neues?

Weit gefehlt. Der Osten sind nicht nur die Burgen und Schlösser. Es sind die Leute. Es fährt ja auch kein Westler nach Italien nur wegen der Pizza oder Pasta, sondern auch wegen der Italiener und der Italienerinnen. Auch die Ostler und Ostlerinnen haben ihre Reize. Doch die offenbaren sich nicht so leicht wie irgendeine Kirchturmspitze. Sie liegen mehr im verborgenen. Am Boden eines Spreewaldgurkenfasses sozusagen oder unter einer Wurstpelle. Denn wer nur großzügig ins Portemonnaie greift und meint, durch den Kauf von Spezialitäten die regionale Wirtschaft anzukurbeln, hat vom Osten nichts gesehen und nichts kapiert.

Es gibt ja heute immer noch Westler, für die eine Reise in die Neuen Bundesländer eine Reise ins Unbekannte ist. Dubai oder Bali liegen ihnen – entgegen jeder Geographie – immer noch näher als der „Wilde Osten“. Doch eins hat der Osten mit den fernen Reisezielen von Westlern gemeinsam: Er soll so sein, wie ihn der Westler meint zu kennen. Genau da liegt der Hund begraben. Auch wenn seit dem Mauerfall schon fast zehn Jahre vergangen sind, ticken viele Uhren im Osten immer noch anders als im Westen. Aber nicht mehr so wie vor 89. Damit scheinen viele Westler ein Problem zu haben. Warum sonst werden sie nicht müde, die immer gleiche Mär von dem Grenzer zu erzählen, der sie damals in sächsisch dazu aufforderte, den Gofferraum offzumochen? Das ist der Osten, den der Westler kennt, den er damals haßte und heute irgendwie vermißt. Da kriegt er glänzende Augen. Damals konnte er von einer Reise zurückkommen und hatte was zu erzählen!

Und heute? Abgerissen die Grenzanlagen, verschwunden die sächselnden Grenzposten. Auch Intershops, wo die Bürger aus der BRD sich mit dem Nötigsten versorgen konnten, gehören der Vergangenheit an. Ihren zuckerfreien Kaugummi, Haribo-Gummibärchen und Windeln bekommen sie mittlerweile auch in jedem ehemaligen Konsum-Geschäft. Und die Sättigungsbeilagen sind weitestgehend von den Speisekarten verschwunden. Da muß ja der eine oder andere Westler orientierungslos durch die Neuen Bundesländer irren – obwohl er sich mittlerweile völlig frei bewegen kann.

Rettung findet der enttäuschte Westler, wenn irgend etwas auf seinem Osttrip nicht stimmt. Wenn zum Beispiel der Cappuccino mit einem Klecks Schlagsahne aus der Sprühdose serviert wird oder wenn der Kellner mit caffelatte nichts anzufangen weiß. Dann läuft er zu Höchstform auf. Und wenn er zurückkommt, hat er endlich wieder was zu erzählen! Vielleicht sollte doch eine dieser bescheuerten Ideen von einem DDR-Disneyland mit Hochspannungszaun und Bunker umgesetzt werden für all die Westler, die dem Osten, so wie er ist, nichts abgewinnen können. Barbara Bollwahn

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