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Eine Geschichte aus Glas

Vom Leben, Sterben und Wiederaufleben eines Ortes, der auf Glas gebaut hat: Glashütte in Brandenburg  ■ Von Henk Raijer

Immer schon war ich der Ansicht, daß es Wichtigeres gibt als Gold. Glas zum Beispiel halte ich für nützlicher“, schrieb, beeindruckt vom Besuch einer Glasmanufaktur, Theodor Fontane. Den Wanderer durch die Mark Brandenburg faszinierten Glas und seine Herstellung zu einer Zeit, als auch Glashütte bei Baruth gerade seine Blütezeit erlebte und die Lampenschirme und Glaszylinder aus dem kleinen Dorf im Wald Weltruhm genossen. Über hundert Jahre später freilich erinnert an die große Zeit der Hütte nur noch ein Museum auf dem Werksgelände.

Der ganze Ort ist heute im Grunde ein Museum, einschließlich seiner etwa 70 überwiegend älteren Einwohner in ihren schlichten Fachwerkhäusern. Aber trotz der Idylle, die das schlummernde Ensemble aus Produktions-, Wohn- und Sozialgebäuden ausstrahlt – Glashütte lebt wieder. Die Grabesruhe, die hier noch vor vier Jahren herrschte, ist passé: Knapp zwei Jahrzehnte nach der endgültigen Stillegung der Produktion raucht in Glashütte wieder der Schornstein.

Zu verdanken ist die Reanimation dem „Verein Glashütte e.V.“, der sich 1991 mit dem Ziel gegründet hat, den Verfall dieses einzigartigen Industriedenkmals in den Wäldern des Baruther Urstromtals zu stoppen. Eingesetzt hatte der nicht erst mit der Enteignung der Anlage durch die sowjetische Besatzungsmacht 1945, sondern schon ein Jahr zuvor. Die Nazis hatten den gesamten Besitz der Baruther Fürstenfamilie, zu dem auch der Ort Glashütte gehörte, einkassiert. Graf Friedrich Hermann zu Solms-Baruth war als Gegner des Nazi-Regimes bekannt und mußte nach dem Attentat vom 20. Juli fliehen. Bis zur Rückkehr seines Sohnes Julian aus Namibia ein halbes Jahrhundert später führte die Hütte im Gegensatz zu ihrer früheren Bedeutung ein Schattendasein. Erst nach Übertragung sämtlicher Restitutionsansprüche der Familie zu Solms-Baruth an den Verein eröffneten sich Perspektiven, Glashütte wieder Leben einzuhauchen.

Mit der Sanierung einiger Wohnhäuser und Werksgebäude (1996), der Einrichtung der Glasbläserwerkstatt in der ehemaligen Schleiferei (1997) und dem Beginn der Schauproduktion in der aufwendig rekonstruierten Hütte (1998) wurde ein Anfang geschafft. „Schon allein diese Projekte haben Millionen verschlungen“, sagt Christoph Schulze, der Vorsitzende des Vereins, der alles daran setzt, damit sich das Museumsdorf auch rechnet. „Wir brauchen Gewerbe in Glashütte. Und junge Mieter für die Wohnungen“, so Schulze. „Was wir auf keinen Fall wollen, ist eine Künstlerkolonie.“

Wie kein anderer hat sich der SPD-Landtagsabgeordnete abgestrampelt, um Geldgeber für die Rettung Glashüttes aufzutreiben und ABM-Kräfte für die Sanierungsarbeiten zu mobilisieren. Mit Erfolg. Am Ende hat sich sogar eine renommierte Glasmanufaktur aus Niederbayern bereit gefunden, eine Million Mark in einen neuen Ofen zu investieren und das Glasmacherhandwerk wiederaufleben zu lassen. Eine stattliche Summe kostete auch der Gasanschluß, den der Verein mit Unterstützung seiner Träger, darunter das Land Brandenburg, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und die Bundesanstalt für Arbeit, hat legen lassen – wenn auch nur zur Befeuerung des Hüttenofens. Die Dorfbewohner heizen, kochen und waschen auch weiterhin mit Braunkohle und Holz.

Die Schauproduktion in der großen Werkshalle der Hütte ist die Attraktion im Museumsdorf. Besucher drängen sich um den Stand, wollen unbedingt sehen, wie sich die Glasmacher am Ofen mit der „Pfeife“ einen Klumpen Glas aus der glühend heißen Schmelze holen und den „Posten“ anschließend herumwickeln. Sie blasen, schwenken und drehen. Immer wieder wechseln sich die Männer auf dem Stand ab, die Hitze so dicht am Ofen treibt ihnen den Schweiß auf die Stirn. Die Theresienthaler Glasmanufaktur fertigt und verkauft hier edle Glasprodukte auf eigene Rechnung. Einzige Bedingung: Museumsbesucher dürfen den Glasmachern bei der Arbeit zusehen. „Eine gelungene Symbiose von Kultur und Geschäft“, meint Vereinsvorsitzender Schulze.

Als der Ofen am 1. September 1980 endgültig aus war und 27 Tonnen flüssiger Glasmasse in seinem Innern erstarrten, endete die industrielle Geschichte Glashüttes. Begonnen hatte sie Anfang des 18. Jahrhunderts – als Folge eines Naturereignisses: 1715 riß ein Sturm im Wald des Baruther Grafen eine große Fläche Holz nieder. Friedrich Sigismund zu Solms-Baruth, offenbar ein Mann mit Sinn fürs Geschäft, kam auf die Idee, das Holz als Brennmaterial für Schmelzöfen zu nutzen. Er heuerte einen Pächter an, rekrutierte Glasmacher, Alchimisten und Leute für die Drecksarbeit am Ofen, und ab 1735 wurden in Glashütte Fensterscheiben, Tafelglas und grüne Flaschen hergestellt.

Drei Schmelzöfen hatte Glashütte um 1850 in Betrieb, zur Weiterverarbeitung der Glaswaren wurden eine Glasschneiderei, zwei Schleifereien und Formwerkstätten eingerichtet. Mit dem Bau einer weiteren Hütte 1861 und begünstigt durch die Konjunktur wurde aus dem Angerdorf eine Industrieansiedlung mit fast 500 Einwohnern. 218 Glasmacher, Gemengemacher, Glasmaler, Schleifer, Schlosser, Formmacher und Einbinderinnen arbeiteten 1875 in der „Fabrik“.

Durch die Beimischung von Schafsknochenmehl zu dem glühenden Gemenge aus Quarzsand und Pottasche, aus dem Glas geblasen wird, hatten die Glashüttener ein Milchglas entwickelt, das einen einzigartig satten Ton hatte und auf den Weltindustrieausstellungen von London (1851) und Paris (1855) für Furore sorgte. 200.000 Lampenschirme verließen Mitte der 1870er Jahre monatlich das Werk. Entscheidende Dynamik erfuhr der Absatz noch durch den Bau der Eisenbahn Berlin– Dresden und das werkseigene Anschlußgleis im Jahr 1875.

Doch die goldenen Zeiten für die Baruther Hütte, in der bis 1980 weitgehend handwerklich gearbeitet wurde, gehörten bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts der Vergangenheit an – daran änderte auch die Erfindung der Thermosflasche durch einen gebürtigen Glashüttener nichts. 200 Menschen hatten den Ort schon um 1900 verlassen. Da 1914 mehr als die Hälfte der Arbeiter und Angestellten eingezogen wurde, stand in den ersten beiden Kriegsjahren der Betrieb in Glashütte still. Danach verlegte man sich auf die Produktion von Konservengläsern.

Während des Zweiten Weltkrieges bekam das Unternehmen, seit 1933 Mitglied im Hohlglaskartell, ausländische Zwangsarbeiter aus Polen, Frankreich und der Ukraine zugewiesen, mit deren Hilfe die Produktion in der Baruther Glasfabik aufrechterhalten wurde. Nach der Enteignung der Glashütte durch die sowjetische Besatzungsmacht 1945 und der anschließenden Übernahme durch den DDR-Staat wurde die Glasfertigung auf immer neue Produkte umgestellt. In den Zeiten der „VEB Beleuchtungsglaswerke Dresden – Bereich Glashütte“ produzierten die Glasbläser am Ende fast ausschließlich Gärballons für die chemische Industrie.

Seinen Nachwuchs rekrutierte das Werk von Beginn an meist aus dem eigenen Kreis. Wie nach einem Naturgesetz wurde der Glasbläsersohn Glasbläser, der Sproß eines Schleifers eben Schleifer. Und die Formmachertochter nahm sich einen Formmacher zum Mann. Glasmacher verdienten nicht schlecht, Junggesellen waren heiß umworben. „Beim Tanz waren die Jungs von der Hütte bei den Mädels begehrt“, erinnert sich Frau Greinke vom Hüttenweg 2. Die Tochter eines Formmachers, der in den 30ern aus Schlesien zugezogen war, hatte in den 50er Jahren ihren Glasmacher geheiratet. Auch wenn sie nicht unbedingt jede neue Idee des Vereins befürworten – die meisten Alten freut die positive Unruhe, die Glashütte erfaßt hat. Manche murren schon mal: Wir sind doch kein Zoo, heißt es, wenn Christoph Schulze mal wieder vorschlägt, den Ort abzuriegeln und schon am Eingang Eintritt zu verlangen und nicht erst für den Besuch der Ausstellung. „Nur wenn alle Besucher – und das sind bislang jährlich an die 50.000 – Eintritt zahlen, können wir die Sanierung beschleunigen“, sagt der Vorsitzende. Die Hütte von 1861 erstrahle zwar in neuem Glanz, auch gebe es schon Mieter für das renovierte Forstarbeiterhaus von 1829. Aber es bleibe noch viel zu tun, so Schulze. Die Hütte von 1844, die älteste noch stehende in Deutschland, drohe einzustürzen. Die Gaststätte warte noch auf einen Investor und Betreiber. Auch ein „Haus des Gastes“ mit Ferienwohnungen sei in Planung. Schulzes Traum aber ist die baldige Wiederinbetriebnahme der Schmalspurbahn. Sie soll möglichst viele Besucher auf der historischen Strecke von Klasdorf durch den Wald nach Glashütte bringen.

Glashüttes Zukunft ist eine Frage des Marketings, ist Schulze überzeugt. Der dynamische Macher versteht nicht ganz, warum etwa Reisebusunternehmen trotz eifriger Lobbyarbeit des Vereins auf das Angebot „Kultur und Natur in historischem Ambiente“ noch nicht richtig angesprungen sind. „Wenn wir regelmäßig auf eine bestimmte Besucherzahl bauen könnten, etwa durch Verträge mit Reiseveranstaltern, würden wir sofort Leute aus der Region beschäftigen und den Ort für weitaus mehr Touristen als bisher attraktiv machen.“ Sieht er bei all seinen Ambitionen nicht die Gefahr eines Jahrmarkts, eines touristischen Overkills für das beschauliche Dorf im Wald? „Ach was“, so Schulze, „meine Devise lautet: Opportun ist, was möglich und erlaubt ist. Bewahrung der Idylle ist ja ganz schön. Aber wenn keiner kommt und Geld in die Kasse bringt, kann ich mir die Idylle abschminken.“

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