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„Rumhängen ist hier nicht“

Der Jugendknast Hahnöfersand startet Anti-Aggressions-Programm. Die beiden Tonndorfer Jungen sind in Arbeitstherapie  ■ Von Silke Mertins

Vor dem Gitterfenster hängen Gardinen. Über dem kleinen Fern-seher ist ein Deckchen, auf dem Tisch ein Wasserglas mit Wiesenblumen drapiert. Die Tür zieren Fotos des türkischen Sängers Müslüm Gürses. In dieser Zelle des Jugendknastes Hahnöfersand wohnt einer von rund 70 verurteilten Straftätern. Für sie – alles schwere Jungs, die in Wohngruppen zusammengefaßt sind –, startet morgen ein Anti-Aggressions-Programm.

„Aggressives Verhalten ist nicht angeboren, sondern erlernt und kann deshalb auch verlernt werden“, sagte gestern Jörg Wolters, der das Programm leitet. Zunächst zwölf Jugendliche, später 24, sollen als Gruppe und in Einzelgesprächen resozialisiert werden. Durch die Konfrontation mit ihren Taten will man bei ihnen „Scham und Schuld wecken“, so Wolters. In der Sporttherapie, die sie zu „friedlichen Kriegern“ erziehen soll, lernen sie Selbstbeherrschung. „Das ist das genaue Gegenteil vom Turbo-Macho“, so der Therapeut. „Ein so umfassendes Programm hat es bisher noch nicht gegeben.“

Zum ersten Mal lud gestern die Justizbehörde die Medienöffentlichkeit zu einem „Tag der offenen Tür“ in die Jugendhaftanstalt auf der Elbinsel – eine Reaktion auf den öffentlichen Druck nach dem Mord von zwei 16jährigen an dem Tonndorfer Lebensmittelhändler Willi Dabelstein. Die beiden mutmaßlichen geständigen Täter sitzen hier in U-Haft und arbeiten in einer der Werkstätten. „Für unsere Jugendlichen ist es ein enormer Schritt und ein großer Streß, sich überhaupt an einen geregelten Tagesablauf zu gewöhnen, früh aufzustehen und sich acht Stunden lang mit Mauern bauen, Holz- oder Metallbearbeitung zu beschäftigen“, weiß Sozialpädagoge Ulrich Donner, der das Arbeits- und Ausbildungsprogramm leitet.

In der Maurer-Werkstatt sind zwei Jungs, durch den ungewohnten Besuch geradezu beflügelt, eifrig damit befaßt, Mörtel auf die Steine zu klatschen, Steine aufzuschichten und mit der Wasserwaage nachzumessen. Für viele ist es das erste Mal, so die Betreuer, daß sie sich überhaupt beruflich orientieren können. Allerdings sind 95 Prozent gar nicht „ausbildungsfähig“: Sie haben keinen Schulabschluß und müssen zunächst die anstaltseigene Schulbank drücken. 10 bis 15 Prozent sind sogar Analphabeten. Etwas tun müssen – und wollen – die Jungen auf jeden Fall. „Rumhängen ist hier nicht“, sagt Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD).

Die Verwahrlosung der jungen Straftäter, meint Anstaltleiter Andreas Gross, habe in den vergangenen Jahren stark zugenommen. „Wir können ihnen keine neuen Eltern geben oder sie von der Drogensucht heilen.“ Dennoch sei das Absitzen der Strafe für dieses Klientel, das draußen nicht erreichbar sei, auch eine Chance. „Es ist keine Endstation, sondern ein Neuanfang“, glaubt Gross. Ein Vorteil der Haft sei: „Wir müssen sie nicht suchen, bitten oder einladen.“ Er warnt aber davor, Jugendliche, die gar nicht zu dieser schwerkriminellen Szene gehören, zu inhaftieren. „Die gehen hier unter.“

Auch in der U-Haft ausreichende sozialpädagogische Betreuung anbieten zu können, „wäre unser Traum“, so Gross. 65 Prozent der Insassen sind ausländischer Herkunft, davon die Hälfe aus der Türkei und Kurdistan. Doch das Geld, um zum Beispiel türkischsprachige Betreuer einzustellen, fehlt.

Die hohe Zahl der U-Häftlinge, rund 100, sieht Justizsenatorin Peschel-Gutzeit als Beleg dafür, das die Hamburger Jugendrichter sich keineswegs scheuen, Haft anzuordnen. Zum Vergleich: Nur vier straffällige Jugendliche seien in Jugendwohnungen untergebracht.

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