: Aus den Kaninchenställen in den Boom
Ökonomen erwarten vom neuen japanischen Premier eine durchgreifende Kur für das angeschlagene Land. Vorschläge zur Gesundung reichen von Steuersenkungen bis zur Umverteilung der Bausubventionen ■ Aus Tokio André Kunz
Japans neuer Premierminister Keizo Obuchi hat eine schwere Last geerbt. Es ist eine Mischung von Zynismus, Skeptik und Mißtrauen von seiten der internationalen Finanzmärkte, frustrierten ausländischen Regierungen und einer empörten japanischen Wählerschaft.
Die neue Regierung muß in den ersten 100 Tagen im Amt die einheimische und internationale Vertrauenskrise, die Premier Hashimoto vom Sessel stürzte, sofort entschärfen. Ökonomen offerieren Rezepte, die das Krisenland innerhalb von drei Jahren zu einer der vitalsten Volkswirtschaften mit einem jährlichen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von drei Prozent verwandeln könnten.
„Wir brauchen jetzt eine drastische Operation und kein Aspirin zur Fiebersenkung“, sagt Yukio Noguchi, Ökonom an der renommierten Tokio-Universität. Er hat Ideen anderer Ökonomen aus dem In- und Ausland zusammengetragen, die zur Revitalisierung der japanischen Wirtschaft notwendig sind. Sie reichen von der Förderung des privaten Wohnungsbaus mit Steueranreizen bis hin zum Outsourcing wichtiger Staatsaufgaben wie der Altersfürsorge. Die Ideen haben alle ein Ziel: das Vertrauen in der japanischen Bevölkerung zu stärken, die Finanzmärkte zu stabilisieren und aus Japan ein Land zu machen, das mit einer ausgewogenen Handelsbilanz ein gesundes Wirtschaftswachstum vorweisen kann.
Finanzanalysten in Tokio sind sich einig, daß der jüngste von der regierenden Liberal-Demokratischen Partei (LDP) vorgestellte „totale Plan“, mit Überbrückungsbanken das Problem der faulen Kredite im Finanzsektor zu lösen, nicht ausreicht. Der Sanierungsplan sieht vor, daß staatliche Überbrückungsbanken bankrotte Finanzinstitute übernehmen und dabei den Geldfluß an kreditwürdige Gläubiger aufrechterhalten. Auf diese Weise sollte eine Konkurswelle in der Gesamtwirtschaft verhindert werden. Für diese Rettungsaktion hat die Regierung vorerst 400 Milliarden Mark versprochen. Demgegenüber wird die Summe der unbedienten Kredite im gesamten Finanzsektor inzwischen auf über 1.200 Milliarden Mark geschätzt. „Es ist offenkundig, daß dieser totale Plan nur ein erster Notschritt ist“, sagt Hideaki Akimoto, der Chefökonom des Daiwa-Research-Institutes in Tokio.
Für eine erfolgreiche Sanierung im Finanzsektor braucht es eine Infusion von öffentlichen Geldern in der doppelten, wenn nicht gar in der dreifachen Höhe. Nur: Das werden die Steuerzahler kaum zulassen. Darum fordert Akimoto von der neuen Regierung eine andere Gangart. Hoffnungslos überschuldete Banken sollten sogleich in den Konkurs entlassen und gleichzeitig Bankmanager, Aktionäre und Gläubiger, die kriminell spekuliert haben, von der Justiz verfolgt werden. Nur so könne die notwendige Unterstützung im Volk für das Steueropfer erreicht werden. Handelt die Regierung nicht schnell und überzeugend, ist ein Crash im japanischen Finanzsektor angesagt, weil schon jetzt eine großangelegte Kapitalflucht ins Ausland droht.
Im gleichen Tempo wie die Bankensanierung muß der neue Premierminister, der ab Donnerstag im Amt ist, auch permanente und substantielle Steuererleichterungen ankündigen. Hashimoto zauderte bis zur letzten Minute vor der Wahl am Sonntag vergangener Woche mit der Ankündigung eines solchen Schrittes, der von der Mehrheit der Bevölkerung und von Ökonomen schon seit einem halben Jahr gefordert wurde.
Der international bekannte Wirtschaftswissenschaftler Adam Posen vom Institute of International Economics in Washington fordert von der japanischen Regierung Steuersenkungen in Höhe von dreihundert Milliarden Mark. Damit sei innerhalb eines Jahres wieder ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent zu erreichen. Dabei sollte die hohe Unternehmensgewinnsteuer von heute 46 Prozent auf das international übliche Niveau von 40 Prozent gesenkt werden.
Gleichzeitig müsse auch die Steuerrate für Topverdiener von gegenwärtig 65 auf 45 Prozent fallen. Parallel zu diesem Steuergeschenk für die Reichen müßte die Regierung Schlupflöcher für die Steuerhinterziehung stopfen. Damit könnten die bisher geduldeten illegalen Steuerausfälle um die Hälfte oder fast 100 Milliarden Mark verringert werden.
Damit in Japan endlich wieder nachhaltig der Konsum angekurbelt wird, muß der private Wohnungsbau unverzüglich gefördert werden, sagt der Unternehmensberater Kenichi Ohmae, der auch als Mr. Stratege bekannt ist. Statt das Geld aus dem versprochenen Stimulierungspaket in Höhe von 220 Milliarden Mark wieder in die Betonierung von Flußbetten zu stecken, würde er das Geld jungen Familien für den Kauf einer Eigentumswohnung oder den Bau eines Hauses vorstrecken.
Ohmae hat zusammen mit Bauexperten ausgerechnet, daß die angeschlagene Bauindustrie, die immerhin 12 Prozent der japanischen Arbeitnehmer in über 500.000 Firmen beschäftigt, mit einem solchen Schritt binnen zwei Jahren aus der Krise wäre. Zugleich würden die Japaner endlich aus ihren berüchtigten, Kaninchenstall genannten Wohnungen befreit, und die Nachfrage nach Baumaterialien aus Asien und Wohnungseinrichtungen aus Europa und den USA würden die Handelsbilanz über Nacht ausgleichen.
„Die Konsumgewohnheiten der Japaner müssen endlich entwickelt und an die der Europäer angeglichen werden“, fordert Ohmae. Statt fünf teure Handtaschen zu kaufen, könnten sich junge Frauen in einer größeren Wohnung ein DeSede-Sofa leisten. Ohmae hat berechnet, daß mit einer Deregulierung der Bauvorschriften und einer modernen Zonenplanung, wie sie in Mitteleuropa üblich ist, die Baukosten für ein japanisches Einfamilienhaus auf ein Drittel der derzeitigen Preise gesenkt werden könnten.
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