: Wenn Arbeitslose einfach glücklich sind
■ Auf das „Manifest“ der „Glücklichen Arbeitslosen“ hin meldeten sich viele Erwerbslose, die gut mit ihrer jetzigen Situation klarkommen
Berlin (taz) – Torsten G.* aus Aachen ist arbeitslos, hat aber viel zu tun: „Ich habe mir Malen und das Komponieren auf Synthies beigebracht. Ich war kreativ, auf Parties, aß selten aus der Mikrowelle. Außerdem brauche ich Zeit, weil ich eine Freundin in Düsseldorf und eine in Köln habe.“ Torsten ist nett zu sich. Er lebt von Stütze, ist aber weder alkoholkrank noch kriminell, noch rechtsradikal. Doch jetzt will das Sozialamt den 34jährigen in einen Hilfsjob stecken, in Vollzeit. „Kann mir jemand einen Tip geben, was ich machen soll?“ fragt Torsten und wendet sich im Brief hilfesuchend an die „Glücklichen Arbeitslosen“ in Berlin.
Torsten ist einer von 400 Schreibern, die bei den „Glücklichen Arbeitslosen“ Rat und Kontakte suchen. Seitdem vor einigen Wochen das „Manifest“ der Berliner Gruppe durch die Medien ging, „kommt eine Flut von Anfragen“, erzählt Guillaume Paoli, der 39jährige Mitgründer der Gruppe. Dabei hatten er und seine Mitstreiter im „Manifest“ lediglich auch mal die positiven Aspekte der Arbeitslosigkeit loben wollen: „Endlich habe ich Zeit.“ Jetzt gaben sie eine Nullnummer eines Pamphletes namens Müßiggangster heraus. Die Schrift beschwört in Essays und Zitaten das „kontemplative Leben“. Das lebt immerhin eine kleine Minderheit der Erwerbslosen. Zum Beispiel Monika F. aus Dortmund: „Durch das Manifest habe ich erfahren, daß ich nicht die einzige ,glückliche Arbeitslose‘ bin. Man wagt ja nicht so ohne weiteres, sich zu outen.“ Eine Joblose aus Berlin: „Ich bin seit Februar arbeitslos und falle einfach nicht in Depression.“ Die Minderheit unter den Erwerbslosen, die Stütze bekommt, den Tag mit brotloser Kunst und ein paar Kumpels ganz gut herumbringt, ist den Ämtern ein Dorn im Auge. „Die Arbeitspflicht ist ein großes Problem“, meint Paoli. Zum Beispiel für Britta S. aus Konstanz: „Ich bin seit vier Jahren glücklich arbeitslos, oder, wie ich es nenne, arbeitsfrei. Leider wird das Glück immer wieder vom Arbeitsamt gestört. Diesmal droht mir eine Trainingsmaßnahme in der Sommerzeit.“
Dabei wähnen sich die Briefschreiber keineswegs faul, im Gegenteil: In einer Marktwirtschaft, in der ein bestimmter Prozentsatz immer arbeitslos sein wird, ist der Jobverzicht eine politische Tat. Zum Beispiel für Ilse W. aus Berlin: „Ich bin eine glückliche Arbeitslose, die in den letzten Monaten ihr Wertesystem gründlich geändert hat, ich bin nicht arbeitslos, sondern geldlos. Warum soll ich anderen Menschen den Arbeitsplatz streitig machen, die gerne die Arbeit tun würden, die ich nicht mehr leisten möchte? Fakt ist, daß es viele unglückliche Arbeitslose gibt, die ihren Wert durch Arbeit definieren und die unbedingt arbeiten wollen. Sollen die erst alle arbeiten... Und dann kann ich vielleicht ohne Kontrolle und Schikane noch ein Weilchen glücklich sein.“
Der arbeitslose Kulturwissenschaftler Christian W. aus Bremen: „Seit Jahren erwäge ich, ein ,Bündnis gegen Arbeit‘ zu schmieden, aber ich war immer zu faul dazu.“
Im Müßiggangster haben die Macher sorgfältig die Briefschreiber auf einer Deutschlandkarte verzeichnet: So entstand eine Karte der „glücklichen Arbeitslosen“. Eine Massenbewegung sind sie aber nicht. Die Leute müßten die Wahl haben, findet Paoli, „wer mal eine Weile arbeitslos sein will, muß das sein können, ohne Repressionen befürchten zu müssen“. Die Gruppe verficht das „Recht auf Nichtarbeit“ ebenso wie das „Recht auf Arbeit“, so wird im Müßiggangster klargestellt. Und überhaupt sei es keine feste Gruppe, betont Paoli. Er selbst arbeitet inzwischen in einer ABM als Kulturorganisator, sein Ex-Mitstreiter ackert in einer Multimedia- Firma, und im Moment sind viele Unterstützer in Urlaub.
Für die nächste Nummer des Müßiggangsters fehlt noch das Geld. 1999 will die Gruppe ein „Festival der Glücklichen Arbeitslosen“ organisieren. „Dafür suchen wir noch Sponsoren“, so Paoli. Die „Glücklichen Arbeitslosen“ sprengen den politischen Diskurs. Aber Künstler sind sie eben auch nicht. Wie heißt es im Müßiggangster: „Wir haben keine Lösung, damit aber auch kein Problem“. (Adresse: Die „Glücklichen Arbeitslosen“ c/o im Stall Kastanienallee 84, 10435 Berlin.) Barbara Dribbusch
* Namen geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen