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Papierblume mitten unter Steinschnecken

■ Bildhau VIII: Zum achten Mal kann der künstlerische Laie im Bürger- und Sozialzentrum Huchting sein Talent zur großen steinernen, hölzernen oder eisernen Form erproben / Tomatenstaudenidyll und Kuchen dienen als Stimuli

5. Schulklasse: Die Finger verpappt beim Zuammenkleben eines Sonnenblumenfelds aus Mutters Stoffresten. Eeekelhaft. 9. Klasse: Verkehrte Welten aus Linolplatten herausgeschabt. 12. Klasse: Mit Schere, Uhu und einem gerüttelt Maß sozialistischen Bewußtseins John Heartfield und Hannah Höch nachgeeifert. Keine bildnerische Technik des zweidimensionalen Raums war vor uns sicher. Doch gegenüber Stein, Metall und Holz hatten unsere Kunstlehrer der alten Schule einen Höllenrespekt – und unsereins davon jetzt entsprechend wenig Ahnung.

Ein Defizit, das alle Ausdruckswilligen seit letzten Sonntag ganz einfach beheben können. Das Schwierigste bei der Annäherung an die Bildhauerei ist die Grundorientierung, also, das Finden der Amersfoorter Straße. Eine klassisch-kleine Sackgasse. Dort nämlich, im Bremer Abseits, ist seit rund zehn Jahren die Heimat des „bus“, des Bürger- und Sozialzentrums Huchting. Und das wiederum organisiert seit acht Jahren die einwöchige Schnupperwerkstatt „Bildhau“. Erst einmal auf dem Pausenhof der ehemaligen Schule eingetrudelt, geht alles ganz einfach. Angehende Steinmetze zum Beispiel löhnen unterm Laubengang der aparten Ex-Schulaula im 60er Jahre-Nierentischstil 52 Mark und bekommen dafür ein Stück selbstgebackenen Kuchen, gekrönt von einem beachtlichen SahneHochgebirge, außerdem Hammer, Meißel, Steinkoloß, drei Holzpfähle, einen (fast) zentnerschweren Sandsack und ein Pfund guter Ratschläge. Exakt vier Mark – nicht mehr, nicht weniger – fordert außerdem ein zäher, tauber Verfolger vom AWO Wohnheim für geistig Behinderte gleich nebenan mit wilder Gestik und beeindruckender Mimik. Zu kurzgehalten? Nein, dem gehts gut, meint „bus“-Geschäftsführerin Susanne Henning. Vielleicht hat der Mann einfach nur Spaß am Durchsetzen an sich. Oder er ist ein fanatischer Sammler und Sparer. In sich ruhend wie ein Buddha dagegen marschiert ein anderer AWO-ler zwischen zwanzig schnitzenden und meißelnden Frauen herum – eine große Papierblume in der Hand.

Holzpfähle und Sandsack ergeben zusammen eine ebenso archa-isch-simple wie stabile Bildhauerstaffelei: eine echt eigene Erfindung von Susanne Henning und den drei Künstlerinnen Rosa Jailsi, Luella Strauss und Junie Kuhn. Ans Werk! Sicher ruht der Meißel in der Faust, wacker saust der Hammer drauf los, spärlich zeichnet sich am Stein ein weißer Punkt ab. Durchmesser: etwa ein Mikromillimeter. Dieses klare Mißverhältnis zwischen Einsatz und Wirkung verunsichert den Adepten. Rosa rät: Bodenhaftung; also wie ein Nicolas Rayscher-Revolverheld eine kraftstrotzende Grätschstellung einnehmen, unter Beibehaltung der Lockerheit des Ellbogens; präzise Abstimmung zwischen weiterrückender Meißelhand und Schlaghand, Rück und Hau, Rück und Hau.... „Es ist eine kontemplative Angelegenheit.“ Na mal sehen.

Mit Rosas Einweisungen wächst das Ergebnis des Hauens und Stechens. 57 Schläge hinterlassen einen bemerkenswerten Leberfleck. Aber er ist staubig und amorph, ja, nachgerade ursuppig. Ein vergleichender Blick auf Büste und Farngewächs von zwei Mitlehrlingen stimmt unzufrieden. Entzückende Pünktchen und neckische Rillen zieren die Steine der anderen statt hubbeligem Vergänglichkeitsstaub. Wird man wohl fester drauflosdonnern müssen – und schwups springt ein fettes Kantenstück haarscharf am Auge vorbei; was wiederum die vorgefaßten Gestaltungsabsichten erheblich beeinträchtigt: Wird wohl eher eine abstrakte Figur werden statt des geplanten Schulterblattes. Als angehender Künstler muß man eben flexibel sein, umdenken können, dem Diktat des Materials folgen lernen.... Den weißen Staub auf dem Jackett nimmt man hin – sowieso.

Die Tücken des Objekts, denen Steinarbeiter von Michelangelo bis Hrdlicka ausgeliefert waren und sind, werden auf einmal viel besser nachvollziehbar; das starke kraftwagenfahrerartige Gefühl, das sich in Handgelenk, Unterarm, Schulter einstellt, auch. Zwischen Bohnenstauden und Seerosentümpel wartet eine ökologisch korrekte Entspannung.

Nach ein paar Stunden sieht man – zumindest bei den anderen – interessante Gestalten aus Stein, Holz und Metall wachsen: sanft verdrehte Ösen, züngelndes Flammengebilde oder eine profane Schnecke. „Nicht jeder hat die Begabung, eine gestaltete Form in einen klumpigen Stein hineinzusehen“, meint Rosa.

Aber offenbar doch erstaunlich viele. In der Aula stehen zur Anregung säulen-, spalten-, kubenartige Gebilde der drei Lehrerinnen. Die Gästezahl hat sich im Lauf der Jahre um die 50 Stück eingependelt. Frauen überwiegen deutlichst. Es kommen sowohl relative Laien als auch Fortgeschrittene. Der radikale Laie sieht sich am Ende durchtränkt von einer Art Haßliebe zum harten Brocken Stein. Und Haßliebe war noch immer der beste Motor zu wahrem Verständnis. bk

Der BildhauerInnenkurs findet täglich bis zum 2. August von 11-20 Uhr statt. Eine spezielle Anmeldung ist nicht erforderlich – jedeR kann kommen.

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