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„Studiengebühren wären ein völliger Systemwechsel“

■ Die SPD wird das bezahlte Studium verbieten – zeitlich befristet. Das kündigt der Sprecher der SPD-Wissenschaftsminister, Zöllner, für den Fall eines Wahlsiegs an. Der SPD-Intellektuelle Winkler fordert hingegen Gebühren von 1.000 Mark je Semester – weil's gerecht wäre. Gebühren und ein Nationaler Bildungsfonds sollen die Universitäten vor dem finanziellen Kollaps retten

taz: Herr Zöllner, was machen die SPD-Länder denn nun? Sie hatten angekündigt, gegen das neue Hochschulrahmengesetz zu klagen, wenn darin Studiengebühren nicht verboten sind. Und das sind sie nicht.

Jürgen Zöllner: Die Position der Länder ist, daß der Bundestag – anders, als es geschehen ist – das Rahmengesetz für die Hochschulen nicht gegen den Willen des Bundesrats verabschieden kann. Der Bundespräsident prüft das gerade. Sollte er wider Erwarten das Gesetz ohne das von uns geforderte Verbot unterzeichnen, werden wir den Streit nach der Bundestagswahl im Sinne der Studenten beilegen – wir werden ein Verbot ins Gesetz schreiben. Ein langwieriger Streit vor dem Bundesverfassungsgericht erübrigt sich dann.

Herr Winkler, halten Sie diese Blockadehaltung für sinnvoll?

Heinrich August Winkler: Ich halte Verbote immer nur für die Ultima ratio. Ein pauschales Verbot von Studiengebühren ist alles andere als innovationsfreundlich.

Zöllner: Ich muß mich gegen die Klassifizierung „Blockadehaltung der SPD“ verwehren. Wir haben mit mehr als 70 Änderungen konstruktiv am Hochschulgesetz mitgearbeitet. Aber wir haben auch von Anfang an gesagt, daß wir die Gebührenfrage lösen wollen. Die CDU-Länder haben sich allerdings selbst unserem Angebot verweigert, das Verbot zeitlich zu befristen.

Winkler: Wir haben wahrscheinlich keinen Dissens darüber, daß es nicht vom Geldbeutel abhängen darf, ob jemand studieren kann. Ich habe mich daher für ein Modell von Studiengebühren ausgesprochen, die überwiegend nachträglich erhoben werden. In Australien hat eine Labour-Regierung ein solches Modell 1989 eingeführt. Wer die Studiengebühren sofort zahlen will, kann das tun, muß es aber nicht. Nachträglich werden die Studiengebühren nur dann eingezogen, wenn der Absolvent eine bestimmte Einkommensgrenze überschreitet. Das halte ich für sozial gerecht.

Zöllner: Ich glaube den Gebühren-Befürwortern sogar, daß sie den sozialen Ausgleich im Auge haben. Dafür müßten sie aber einen Riesenapparat an Sicherheitsventilen einbauen: Sie müßten zum Beispiel die Frauen berücksichtigen, die Kinder erziehen, und diejenigen, die zuwenig Ausbildungsförderung, also Bafög, bekommen.

Herr Zöllner, wären Sie bereit, nach einer grundlegenden Reform des Bafög über Studiengebühren zu reden?

Zöllner: Die Regierung war ja nicht einmal in der Lage, dieses Problem zu lösen: Es gibt nach wie vor keine bedarfsgerechte Studienunterstützung. Woher nehmen Sie da die Zuversicht, daß wir ein sozial gerechtes Darlehens- und Stipendiensystem zuwege bringen?

Winkler: Ich bin gerne bereit, eine Bafög-Reform zur Bedingung für Studiengebühren zu machen.

Zöllner: Eine vernünftige Bafög-Reform!

Winkler: Eine Bafög-Reform, über die wir uns sicher verständigen werden.

Zöllner: Sehr schön. Dann lassen sie uns Bafög regeln und ein vernünftiges Stipendiensystem aufbauen. Im übrigen wären wir ja bereit, ein Verbot zeitlich zu befristen. Aber im Moment bringt uns die Diskussion über Gebühren überhaupt nicht weiter.

Warum kämpfen Sie als Sozialdemokrat, Herr Winkler, mit so viel Verve für die Einführung von Studiengebühren?

Winkler: Ich wundere mich, warum man einer Partei, die im Zeichen der sozialen Gerechtigkeit angetreten ist, vor Augen führen muß, wie ungerecht der Status quo ist. Das jetzige Verfahren ist eine Umverteilung von unten nach oben: Die Nichtakademiker finanzieren mit ihren Steuern die Hochschule – obwohl deren Absolventen gute Chancen haben, ein viel höheres Einkommen zu erreichen.

Zöllner: Die hochqualifizierte Ausbildung an Universitäten und Fachhochschulen dient nicht nur der persönlichen Gewinnmaximierung, sie liegt im Interesse der Gesellschaft.

Winkler: Das gilt auch für gut ausgebildete Handwerksmeister – und die müssen für ihre Ausbildung ganz kräftig in die Tasche greifen.

Zöllner: Der Vergleich mit den Handwerkern zieht nicht. Wenn Sie die Einkommen von selbständigen Handwerkern und durchschnittlichen Akademikern vergleichen, sind die Unterschiede nicht so groß. Sie können nicht die Spitzenverdiener als Norm heranziehen.

Wieviel müßten die Studierenden für den Besuch einer Hochschule bezahlen?

Winkler: Pro Semester fielen Studiengebühren von 1.000 Mark an. Wenn es dafür ein zinsloses Darlehen gäbe, müßten die Absolventen nach einem zwölfsemestrigen Studium Monatsraten von 100 Mark zurückbezahlen. Das würde ihr Einkommen nicht wesentlich mindern.

Zöllner: Wenn es sich nur um so geringe Beträge handelt, dann leistet das keinen relevanten Beitrag zur Hochschulfinanzierung. Ich frage mich, warum wir das dann machen sollen.

Winkler: Die australische Obergrenze liegt bei einem Fünftel der Hochschulkosten.

Zöllner: Wenn Sie ein Fünftel der Hochschuletats über Gebühren finanzieren wollen, das kann ich Ihnen gerne vorrechnen, dann müssen Sie weit mehr verlangen als 1.000 Mark. Und dann nähme ein Absolvent inklusive seiner Lebenshaltungskosten bis zu 100.000 Mark Schulden mit ins Berufsleben. Das ist eine erhebliche Belastung.

Winkler: Nach dem australischen Modell wäre das sehr viel weniger.

Wieviel genau?

Winkler: Nach meinem Modell sind 1.000 Mark pro Semester eine vernünftige Größe, das würde einen Rückzahlbetrag von 10.000 bis 15.000 Mark bedeuten, je nach Länge des Studiums.

In Australien hat der Staat den Universitäten die Gelder längst wieder gekürzt und die Einkommensgrenzen für die Rückzahlung aufgeweicht.

Winkler: Diese Änderungen durch spätere, konservative Regierungen werde ich niemandem zur Nachahmung empfehlen. Um dies zu verhindern, können wir gerne ein Bund-Länder-Abkommen zur Voraussetzung nachträglicher Studiengebühren machen. Es soll sicherstellen, daß das Geld den Unis wirklich zugute kommt.

Zöllner: Sie sollten als Geschichtswissenschaftler der Neuzeit wissen, daß das nicht möglich ist. Sie können Parlamente mit ihrer Haushaltshoheit nicht binden.

Winkler: Ein Bund-Länder-Abkommen brächte immerhin eine hohe moralische Bindewirkung. Aber mir bereitet ein anderes Argument größere Sorgen – daß die jetzt Studierenden durch diese Kostenbeteiligung einseitig belastet werden. Die Gruppe „Neue Humboldt-Universität“, der ich angehöre, hat daher dem Bundespräsidenten vorgeschlagen, einen Nationalen Bildungsfonds einzurichten. In ihn könnte freiwillig einzahlen, wer aufgrund eines früheren Studiums heute überdurchschnittlich viel verdient.

Zöllner: In diesem unserem schönen Lande profitieren doch alle Vielverdiener davon, daß wir durch die gute universitäre Ausbildung ein hohes Know-how haben. Selbst wenn sie nicht studiert haben. Man muß das Geld für die Wissenschaft also von jenen nehmen, die von ihr profitieren.

Winkler: Ich wäre der letzte, der einer sozial gerechten Steuerreform widerspräche.

Wie beurteilen Sie das konkrete deutsche Beispiel von Studiengebühren in Baden-Württemberg?

Zöllner: Ich halte das für ausgesprochen kontraproduktiv. Dort müssen Langzeitstudenten 1.000 Mark pro Semester bezahlen. Dem naiven Betrachter mag das einleuchten. Doch die Lebensentwürfe junger Menschen sind heute eben anders als früher. Ich will zum Beispiel nicht den Teilzeitstudenten dafür bestrafen, daß er langsamer vorankommt, weil er nebenbei schon einen Computerladen führt. Außerdem schafft die baden-württembergische Regelung doch die schizophrene Situation, daß die Hochschulen dafür belohnt werden, daß sie ihre Studiengänge schlecht organisieren – die kassieren das Geld von Langzeitstudenten. Das geht in die völlig falsche Richtung.

Es ist unstrittig, daß den Hochschulen eine Summe von drei bis acht Milliarden Mark jährlich fehlt. Weil der Staat diesen Betrag nicht aufbringen kann, möchten Sie, Herr Winkler, daß die Studierenden dafür aufkommen – als Kunden. Müßte man nicht zuerst das Produkt verbessern, bevor man dafür Geld verlangt?

Winkler: Die Reformen sind im Gange. Ich habe nichts dagegen, sie zur Voraussetzung von Studiengebühren zu erklären – zum Beispiel eine Evaluierung der Lehrveranstaltungen durch die Studierenden. Aber andere Länder haben auch nicht abgewartet, bis der Reformprozeß zum Ende gekommen war. Er wird im übrigen nie abgeschlossen sein. Sind wir Deutschen so unfehlbar, daß wir von anderen Ländern nichts lernen können?

Zöllner: Aber zu lernen heißt doch nicht, daß ich alles so mache wie die anderen. Sie müssen eben auch sehen, daß in Australien ein ganz anderes Bewußtsein herrscht: Dort lebt man seit langem mit Studiengebühren. Da entwickelt sich eine andere politische Kultur, auch eine viel reichhaltigere Stipendienkultur. Deshalb kann man nicht leichtfertig sagen: Ich probiere das mal mit 1.500 Mark Gebühren aus. Für uns hier würde das einen völligen Systemwechsel bedeuten. Ich müßte dann irgendwann auch bereit sein, über 5.000 Mark nachzudenken. Aber dann gibt es keine Schranken mehr: Bekommt dann etwa jeder noch eine gymnasiale Ausbildung umsonst?

Herr Winkler, könnten Gebühren die Reformen im Studienbetrieb vorantreiben?

Winkler: Da gibt es keinen Automatismus. Aber ich denke, daß Studierende gegenüber der Universität in härterem Maße als Fordernde auftreten würden, vor allem was die Qualität der Lehre angeht.

Zöllner: Es würde in der Tat für die Hochschule attraktiver, sich um Studierende zu bemühen – weil es ihr Geld brächte. Das ist aber durch andere Regulationsmechanismen besser zu erreichen, etwa durch eine leistungs- und belastungsorientierte Zuteilung staatlicher Mittel. Ich meine aber, daß die Reform das Wichtigste ist: Hochschulen müssen lernfähige Organisationseinheiten werden. Eine Diskussion über Studiengebühren lenkt von den eigentlichen Problemen ab. Die Unterfinanzierung ist gar nicht das dringlichste Problem.

Winkler: Glückliches Rheinland-Pfalz! Andere Bundesländer sind in einer weniger glücklichen Lage. Deshalb bröckelt die Abwehrfront in der SPD. Die Berliner Finanzsenatorin etwa hat sich für nachträgliche Gebühren ausgesprochen. Andere Sozialdemokraten versichern, daß nach der Bundestagswahl sehr ernsthaft darüber gesprochen werde. Die stärkste Gebührengegnerin, Anke Brunn in Nordrhein-Westfalen, ist nicht mehr Wissenschaftsministerin. Ihrer Nachfolgerin wird eine andere Haltung nachgesagt.

Zöllner: Es gab immer schon in der SPD Vertreterinnen und Vertreter, die zu dieser Frage eine andere Position haben. Aber die Beschlußlage der Partei ist klar.

Sie sehen keine Bewegung in der SPD Richtung Gebühren?

Zöllner: Nein. Die Haltung der verantwortlichen Personen ist eindeutig.

Winkler: Nach der Wahl werden Sie die Bewegung sehen. Interview: Ralph Bollmann und Christian Füller

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