: "Das richtige Alter zum Aufhören"
■ Gespräch mit dem Basketball-Nationalspieler Henning Harnisch (30), der seinem alten Klub Alba Berlin und Europacupsieger Kinder Bologna einen Korb gibt, seine Karriere beendet und nun "neugierig auf ander
taz: Obwohl es in letzter Zeit Gerüchte gab, daß Sie sich mit dem Gedanken an ein Karriereende tragen, kommt die Entscheidung überraschend. Seit wann wissen Sie selbst, daß Sie aufhören?
Henning Harnisch: Den Gedanken aufzuhören trage ich seit Anfang letzter Saison mit mir rum. Es gab dann die Idee, zum Karriereende noch mal ins Ausland zu gehen. Da gab es diverse Probleme, die mich schließlich dazu gebracht haben, vor zweieinhalb Wochen definitiv zu sagen, daß ich Schluß mache.
Warum hat es so lange bis zur offiziellen Bekanntgabe gedauert?
Alba Berlin wollte gern noch ein bißchen Zeit haben, bis es öffentlich wird, und ich habe zugestimmt.
Sie sind in diesem Jahr 30 geworden. Eigentlich nicht das Alter, in dem erfolgreiche Profisportler schon ans Aufhören denken. Was macht Sie so amtsmüde?
Ich mache den ganzen Kram beruflich jetzt schon seit zehn Jahren. Die Sachen, die mir neben dem Sport stets wichtig waren und für die ich nie die nötige Zeit und Muße hatte, haben in den letzten Jahren immer mehr Bedeutung für mich gewonnen und warten darauf, daß es endlich mal losgehen kann. Außerdem habe ich im letzten Jahr körperliche Probleme bekommen, Achillessehnen, Knie, Rücken, ich habe mich zum Beispiel auch zum ersten Mal spritzen lassen, um spielen zu können. Entscheidend ist aber, daß ich einfach neugierig bin auf andere Dinge. Ich hatte die Gelegenheit, ein Spiel zum Beruf zu machen, und bin jetzt mit 30 da, wo andere mit 20 sind, wo ich einen komplett neuen Blick auf das Leben bekommen kann. Deswegen denke ich, daß es das richtige Alter zum Aufhören ist.
Basketball hat sich ja in den letzten Jahren in Deutschland drastisch verändert. Spielt es auch eine Rolle, daß das Spiel weniger Spaß macht?
Ich bin jemand, der Sachen eigentlich immer nach dem Spaßprinzip macht, aber meine Entscheidung hängt nicht damit zusammen, daß ich Spaß verloren hätte, weil es professioneller geworden ist. Für mich ist eher die Frage, ob es noch Spaß macht, zum Training zu gehen, viel zu reisen, ohne was zu sehen, sich einschränken zu müssen, eine reduzierte Wahrnehmung der Welt in Kauf zu nehmen.
Welche Optionen gab es außer dem Karriereende?
Es gab die Option, bei Alba Berlin weiterzuspielen. Dann die Auslandsgeschichten, die über einen Agenten laufen. Dem habe ich von vornherein gesagt, daß ich eigentlich nur in Italien spielen würde, und da war die Priorität, zu einem Verein zu gehen, der sportliche Spitze ist, verbunden mit einer schönen Stadt. Da hat mich der Europapokalsieger Kinder Bologna am meisten gereizt.
Der war ja auch interessiert. Was lief schief?
Die Art und Weise, wie die das angegangen sind, hat das relativiert. Ich war nie die erste Option, und dann war der Umgang von deren Seite auch ziemlich respektlos. Als es dann so weit war, daß ich unterschreiben sollte, war mir klar, daß es auf keinen Fall die richtige Entscheidung wäre. Also bin ich lieber Privatier geworden.
Warum nicht noch ein Jahr Alba Berlin?
Ich habe mit 17 angefangen, Bundesliga zu spielen. Und 13 Jahre sind eine lange Zeit. Ich habe schon im letzten Jahr gemerkt, daß sich vieles nicht mehr kompensieren läßt. Nichts gegen Oberelchingen, aber zum zehntausendsten Mal dahin zu fahren, da fehlt mir die sportliche Herausforderung. Selbst die Finalserie gegen Ulm in der Meisterschaft war eher langweilig. Die Highlights wie die Europaliga hätten das nicht mehr wettgemacht. Man muß ehrlich sein zu sich selbst. Wenn man nicht mehr dahintersteht, ist es besser, den harten Cut zu machen und aufzuhören.
Svetislav Pesic klagt oft darüber, daß es keine Kontinuität mehr gibt. Sie waren einer seiner Schlüsselspieler, mit dem er sicher länger gerechnet hat. Hat er versucht, Sie umzustimmen, oder ist er inzwischen so fatalistisch, daß er die Dinge nimmt, wie sie kommen?
Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis zueinander, außerhalb der Spieler-Trainer-Beziehung. Er hat probiert, mir zu erklären, warum es wichtig ist, daß ich hier weiterspiele, aber er kennt mich seit 13 Jahren und hat schnell gemerkt, daß es mir ernst ist. Ab einem bestimmten Punkt hat er dann nicht mehr versucht, mich umzustimmen.
Sie haben Ihre Karriere in Gießen, Leverkusen und Berlin verbracht. In Bosman-Zeiten klingt das nicht gerade abenteuerlich.
Es gibt die bayerische Volksweisheit, Heimat ist da, wo man sich aufhängt. Es ist bestimmt so, daß ich eine eher konservative Karriere hinter mir habe. Ich werde oft gefragt, warum ich es nicht in der NBA probiert habe. Ich konnte mich gut genug einschätzen, um zu wissen, daß ich das wohl nicht geschafft hätte, auch weil mir dieser Tunnelblick fehlte. Sport war für mich stets ein kollektives Erlebnis, und es war mir wichtig, nebenher andere Leute kennenzulernen, andere Sachen zu machen. Das ist vielleicht ein Fehler für die Karriere, aber für mich war es nur so möglich, derart lange Profisport zu betreiben.
Wenn Sie Gießen mit Leverkusen und dann Leverkusen mit Berlin vergleichen, was waren die größten Unterschiede?
Als ich in Gießen mit 17 anfing, kam am ersten des Monats immer der Schatzmeister mit Briefumschlägen. Ich habe 300 Mark verdient und meine 30 Zehner bekommen. Basketball galt als Unisport. Die meisten haben studiert, es gab keine Profis außer den Ausländern. Der Spaß stand mehr im Vordergrund, auch archaische Männerbundgeschichten, was aber auch seine sympathischen Seiten hat. Im Bus wurde gemeinsam getrunken, geraucht, Karten gespielt, alles was man aus dem Kegelverein kennt. In Leverkusen ging es dann in Richtung Professionalisierung. Der Verein war jahrelang das Aushängeschild des deutschen Basketballs, mit einem großen Sponsor dahinter, Bayer, meine große Lebensschuld. Da war es kaum noch möglich, nebenher zu arbeiten, und ich mußte nach einem Jahr mein Studium abbrechen, weil es wegen des Trainings und der vielen Reisen einfach nicht mehr ging. Ich habe einen langfristigen Vertrag in Leverkusen unterschrieben, auch weil ich dann doch eine Buchhändlerlehre nebenbei machen konnte. Danach fiel ich aber in ein tiefes Loch, und es war mehr als Zeit, noch mal zu wechseln.
Wieso ausgerechnet Berlin?
Alba war schon vorher interessiert, Berlin hat mich immer gereizt, mit all seinen guten wie schlechten Seiten, und es war eine gute Möglichkeit, noch mal mit ganz neuer Energie etwas zu beginnen. Das war eine weitere Steigerung, denn von der Möglichkeit, professionell Sport zu treiben, mit allen komischen Geschichten, die dazugehören, ist man bei Alba wirklich ganz schön weit. So gesehen waren die drei Stationen meiner Karriere eigentlich bezeichnend für das große Ganze. Ich habe die Entwicklung des Basketballs in Deutschland mitgelebt.
Sie haben im letzten Jahr an dieser Stelle den Sinn einer Europameisterschaft bezweifelt. In ein paar Tagen beginnt in Athen die WM, ohne die Superstars aus den USA, und befürchtet wird ein Zuschauerdebakel. Welchen Stellenwert können die Nationalmannschaften überhaupt noch haben?
Ich glaube nach wie vor, daß sie anachronistisch sind. Kein aufgeklärter Mensch sollte eigentlich noch großes Interesse an Nationalmannschaften haben. Im Fußball sehe ich das etwas anders. Das hat auch mit Tradition zu tun. Die Fußballweltmeisterschaft, die ich in Mittel- und Nordamerika verfolgt habe, fand ich toll. Das ist ein netter Ansatz der Kommunikation, es bringt viele Leute zusammen. Ich bezweifle aber, daß das auch für den Basketball gilt. Da dient es mehr der Völkerverständigung, wenn es eine internationale Liga gibt und die Spieler die Möglichkeit haben, frei zu wechseln.
So wie es der Weltverband Fiba mit dem Ausbau der Europaliga ja anstrebt.
Denkbar wäre auch eine Weltliga. Basketball ist ein Weltsport, es wird überall gespielt. In Belize habe ich gerade erlebt, daß es dort Volkssport Nummer eins ist. Wichtig finde ich aber nicht nur den Profibereich, sondern spannend ist vor allem, was auf der unteren Ebene passiert. Organisiert in den Vereinen, aber auch auf der Straße. Auf dieser Ebene würde ich als jemand, der das lange gespielt hat, gern etwas zurückgeben.
Wie könnte das aussehen?
Konkret gibt es da noch nichts. Vielleicht hier im Stadtteil [Berlin- Kreuzberg, d. Red.] eine Mannschaft trainieren, oder Camps, die nicht so groß, so durchstrukturiert sind, sondern eher das Wilde betonen, für das Basketball auch steht. Auf jeden Fall könnte ich mir gut vorstellen, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten.
Könnte das auch im Auftrag großer Sponsoren geschehen, so wie bei Detlef Schrempf zum Beispiel?
Nein, das glaube ich nicht.
Obwohl Sie die EM am liebsten abschaffen würden, war der größte Erfolg Ihrer Karriere der EM-Sieg 1993.
Auf jeden Fall. Das war natürlich eine sehr schöne Europameisterschaft, auch wenn es paradox klingt, und für die Entwicklung des deutschen Basketballs ungemein wichtig.
Aber es war sicher nicht das einzige Highlight Ihrer Karriere.
Mit der Schulmannschaft haben wir 1988 „Jugend trainiert für Olympia“ gewonnen. Das hat unheimlich Spaß gemacht, mit Leuten, mit denen man jahrelang zur Schule gegangen ist, dieses Turnier zu gewinnen. Dann Olympia 92. Da war eigentlich die Qualifikation das Große, obwohl es dann auch toll war, da zu sein. Außerdem natürlich, neun Mal hintereinander Deutscher Meister zu werden. Die schönsten Jahre waren die letzten beiden in Berlin. Da hat ziemlich viel gestimmt, aber es hat auch eine Menge Kraft und Energie gekostet, die ich nicht mehr aufbringen möchte. Eine gute Gelegenheit, positiv abzuschließen und etwas anderes zu machen.
Das führt uns direkt zur nächsten Frage. Was wird aus Ihnen?
Das Schöne ist, daß ich das jetzt niemandem mehr erzählen muß.
Dann wenigstens soviel: Irgendwas mit Basketball?
Trainer bei den Profis kann ich mir nicht vorstellen. Eher etwas Ehrenamtliches. Zum Beispiel die Spielergewerkschaft voranbringen, die wir schon lange geplant haben. Oder etwas mit Jugendlichen, worüber wir vorhin gesprochen haben. Zu sagen, jetzt ist Schluß mit Basketball, fände ich auf jeden Fall fatal, weil ich das Spiel viel zu sehr liebe.
Der einzige berühmte Sportler, der einen so frühen Abschied wie Ihren durchgehalten hat, ist Michel Platini. Schließen Sie ein Comeback völlig aus?
Ich möchte das nicht ausschließen. Ich habe ein bißchen verfolgt, was aus ehemaligen Sportlern wird, und finde diesen Sportlerblues ziemlich spannend. Ich hoffe nicht, daß ich den bekomme, aber ein Problem ist natürlich, daß die große Bühne weg ist. Aber dann muß man sich eben kleinere Bühnen schaffen. Interview: Matti Lieske
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