■ Schlagloch
: Trau keinem über dreizehn! Von Christiane Grefe

„Die ganze kulturelle Altlast von 1968 wird in diesem Wahlkampf entsorgt.“

Der Soziologe Heinz Bude

Mir ist schwindlig. Ich komme nicht mehr mit: Immer schneller wirft die Debatten-Schleuder neue Generationen aus! Als „76erin“, je nach Gutachter eher friedens- und ökobewegt oder eher hedonistisch-verantwortungslos, beobachte ich staunend, wie die uns folgenden „Null-Bock“-Nihilisten frohgemut Computer und Häuschen bauen. Die Anfang der 90er Jahre ausgerufenen „89er“ publizieren emsig Rentner-Schelte, und die „97er“ an den Universitäten wollen sich überhaupt erst mal finden. Da kommt schon wieder neues Fast food aus der Generationen-Bäckerei auf den Tisch: Die „Generation Berlin“!

Jedenfalls hat die Zeit sie dort entdeckt. Die tiefste Gemeinsamkeit dieser Geistesgemeinschaft scheint im Umzug aus dem Westen Deutschlands an einen gemeinsamen Aufenthaltsort zu liegen, klug terminiert nach den Wende-Anstrengungen und vor dem Einzug der Bonner Karawane. Dort, in der karrierefördernden Hauptstadt, setzen sich die Denker der „Berliner Republik“ nun – wie ja auch wir Münchner und Emdener – laut Zeit mit „wichtigen politischen Fragen auseinander“: Globalisierung, Individualismus, der Rolle des Staates. Momentan eher kapitalismuskritisch. Doch selbstredend „undogmatisch-pragmatisch“ – also in der anpassungsfähigen Grundhaltung, mit der sie, wie wir noch sehen, auf erstaunlich alte Antworten kommen.

Als zentralen Nukleus macht die Wochenzeitung mit Riecher vor allem den Alexander Fest Verlag aus. Der könnte natürlich auch einfach streitbare Bücher machen, ohne daß man ihn gleich zum „Generationen“-Katalysator kürte (wofür er selbst am wenigsten kann). Noch absurder wird dergleichen Definitionsarbeit beim Chefredakteur der Welt, Matthias Döpfner, den die Zeit ebenfalls als Agenten der „Generation Berlin“ identifiziert: Der stand doch – als Chefredakteurs-Lehrling und dann Abwickler der Wochenpost – mal dem Neonationalisten Rainer Zittelmann nahe? Und war er nicht auch schon flammender 89er? Sind also „89“ und „Berlin“ identisch? Kann jeder alle Generationen sein? Gleichzeitig? Nacheinander? Halbwertzeiten verkürzen sich, die Medien scheuchen die Säue accelerando durchs Dorf. Und doch steckt dahinter mehr.

Generationen: Laut dem Soziologen Karl Mannheim sind sie dadurch charakterisiert, daß eine Altersgruppe das soziale Geschehen gemeinsam erlebt und deutet. Generationenbildend ist die Jugend: Sie stellt Bestehendes in Frage und setzt ihr eigenes Projekt gegen das herrschende. Solche Spannung baut sich aber nicht alle paar Jährchen neu auf. Zudem hat die Relativierung der Lebensphasen und -formen dem klassischen „Generationenkonflikt“ die Wucht genommen: Weder gibt es „die Jugend“, noch sind die strukturellen Lähmungen des Systems heute einer altershomogenen Kaste anzukreiden. So werden denn synthetische „Generationen“ auch als Orientierungs-Lichtlein im furchteinflößenden pluralistischen Dunkel stilisiert: zu einer Konsum und Individualismus huldigenden Techno-„Generation“ etwa. Zu den „89ern“, die sich höchst angestrengt aus „der jungen Generation, den Ossis und den konvertierten 68ern“ rekrutieren. Oder eben zur „Berlin-Generation“ – mag die auch längst zwischen Mitte 30 und bald 50 Jahre zählen.

Dergleichen „Generationenbeschwörung“, schreiben Klaus Blanc und Lothar Boenisch, trete stets in Zeiten gesellschaftlicher Krisen auf, als „kollektive Vergangenheits- und Zukunftsbeschwörung“. Und bei der Vergangenheitsbeschwörung zeigt sich dann, so widersprüchlich das nun klingt: All die Generationen-Moden – trau keinem über dreizehn – sind am Ende doch der Schaum auf einer Welle, die am gleichen Ufer strandet. Denn in ihrer politischen Identitätsbildung ebenso prägend wie kurz gedacht vereint sind sie in der Abgrenzung von „den 68ern“; genauer gesagt vom bereits in den 80er Jahren entstandenen, ahistorischen Negativ-Mythos dieser letzten tatsächlichen Generation. Die Demokratisierung der Gesellschaft, die auf die Studentenbewegung zurückgeht, nehmen „die Jungen“ dabei für so selbstverständlich, daß sie sie – von der Frauenemanzipation bis zum Strafrecht – wieder aufs Spiel setzen. Sie konstruieren einen monolithischen 68er-Block, der nie existiert hat – und ignorieren die Tugend der Selbstkritik, mit der viele Ex-Revolutionäre bis heute zu den wenigen nachdenklichen praktisch-politischen Zukunfts-Reformern zählen, bei den Grünen, in den Schulen, Ärzteverbänden, Unternehmen. So bleibt als Kondensat bloß noch eine 68er-Karikatur: jene vom allgegenwärtigen Planstellen-Revolutionär mit Erbe und dicker Rente, der kulturpessimistischen „Meinungsterror“ übt und alle Werte am Boden zertreten hat. Ihm schieben sie, als gäbe es weder internationale Monopolbildungen noch 16 Jahre Kohl-Regierung, alle Schuld an leeren Kassen und Reformstau in die Schuhe.

Dieser 68er-Projektion verhaftet, landen sie in ihren „Zukunftsbeschwörungen“ schlüssig beim Rückgriff aufs gegenteilige Alte: Bei der Familie zum Beispiel, total „radikal“ – doch diese Münze ist als politisches Konzept nun wirklich verdammt klein. Sie fordern ökologische Rücksicht – aber auch nur moralisch-pathetisch, und wenn es daran geht, die sich daraus ergebenden knallharten Interessenkonflikte zu durchbrechen, baden die Herren gern lau. Jan Roß will zwar klug begründet wieder mehr Staat – aber der soll vor allem konservative Institutionen wie Familie, Kirche und Bildung vor dem Terror der Ökonomie bewahren, ohne diese gleichzeitig hart an die Kandare zu nehmen. Die „89er“, so der Profi-Youngster Jörg Tremmel, setzen gleich die schlichte Marktfreiheit als Naturgesetz gegen 68 – wer nicht mithalten kann, hat eben Pech. Und mit dem nackten Individualismus, dessen Kultivierung nun tatsächlich ein Fehler vieler 68er war, loben sie zynisch die „Tugend der Orientierungslosigkeit“, die jede politische Einbindung verhöhnt.

Ein eigenes Generationenprojekt jedenfalls, das sich außer um die Rettung der eigenen Behaglichkeit auch noch um Lösungen für zukünftige Generationen und die potentiell Abgehängten bemühte, ist da nicht in Sicht. Insofern ist es wohl kein Zufall, daß die Zeit auf der Suche nach der „Generation Berlin“ einiges übersah: die provovzierende Volksbühne zum Beispiel, den anarchistischen Schlingensief, die nach linken Orientierungen suchenden Studentengruppen der Humboldt-Universität, den Osten überhaupt und ganz besonders jene Intellektuellen um das „Haus der Kulturen der Welt“, die auch mal über den Hauptstadt-Nabel hinausschauen. Ob sie es nun wollen (wie Tremmel) oder nicht (wie vermutlich Ulrich und Roß): Ganz „unideologisch“ und undogmatisch“ schwappen sie mit ihrer 68er-bereinigten Konzeptionslosigkeit in den großkoalitionären Hafen der „neuen Mitte“ – zu deren jede langfristige Politik ausschließendem Pragmatismus es ja, Zitat Stollmann, auch gar „keine Alternative gibt“.